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Lummerland ist abgebrannt – Odyssee 2022 CW03

16.Januar – Bin wieder in Toulouse. Sonne und Kälte sorgen für gute Stimmung. Selbst Zorn und Wut sind wieder erwacht, wenngleich ich versuche meinen Zorn mit Fantasie und Geduld in Wut zu verwandeln. Gelingt mir mitunter nicht immer, aber immer öfter.

Meine drei Wochen in Allemand haben mir mehr zugesetzt, als gedacht.

Nein nein, gleich vorab: Meine Zeit wahr schön, Freunde und Familie zu treffen blieb angenehm, auch wenn ich merkte, wie dünnhäutig jeder nach bald zwei Jahren Ausnahmezustand geworden ist.

Nein – etwas Tiefgreifendes hat sich verändert.

Ich könnte es Fassüberlaufen, oder Vulkanausbruch nennen, aber so drastisch möchte ich es noch nicht beschreiben – vielleicht später – vorerst fühlt es sich wie ein Erdbeben an, dass tiefliegende Erdschichten aufbricht, was zu Verwerfungen an der Oberfläche, also auf meiner Lebens-Scholle, meiner seelischen Erdkruste führt. Was war geschehen?

Lummerland ist abgebrannt,

zumindest meines! Stellt euch ein altes Fachwerkhaus vor, irgendwo in Norddeutschland. Hunderte von Jahren steht es schon. Jedem Sturm trotzte es. Naturgewalten brandeten dagegen, dass es bis in die Grundmauern erzitterte, doch es hielt stand. Erbauer hatten es in weiser Voraussicht äußerst robust ausgelegt – manche behaupteten hinter vorgehaltener Hand, für über 1000 Jahre.

Bis heute.

Von Generation zu Generation übergab man es an die Verantwortlichen, bis die jetzigen Hausherren anfingen, die Konstruktion zu schwächen – noch dazu aus freien Stücken. Wie haben sie das gemacht? Indem Regierungen anfingen, wie zum Beispiel der Hamburger Senat, bestimmte Bürgergruppen systematisch aus der Gemeinschaft auszuschließen. Stück für Stück schwächte man so das Gebäude meiner Wertvorstellungen. Nach und nach schwächten sie so das lebenswichtige Fachwerk.

Zuerst begann es nur zu wackeln.

Wenn ich es recht erinnere, war das im März 2020. Grenzen wurden abgeriegelt. Sämtliche Flüge gegroundet. Plötzlich hatte ich den Eindruck, wieder im Nachkriegs-Europa zu leben, mit eigenen Währungen, Grenzkontrollen, bis hin zu Einreisestopp, selbst für Hamburger die nach Schleswig-Holstein wollten – es war verrückt

Da schwoll mir der Kamm.

Solche Haltungen spiegeln nämlich nicht gerade eine stabile Demokratie wieder, die mit Ruhe und Gelassenheit Andersdenkende erträgt, wozu auch zum Beispiel Künstler zählen. Demokratien müssen jedem Sturm standhalten, dafür sind sie gemacht, damit wir alle auch in Zukunft weiterhin gleich frei leben können.

Eine Demokratie, die Andersdenkende ausschließt, ist keine!

Doch mittlerweile glänzten selbst große Konzerne mit vorauseilendem Kadavergehorsam und schlossen über Nacht ihre eigenen Mitarbeiter aus, dass sich unendlich lange Schlangen bildeten – Menschen wie du und ich, die mal wieder auf einem Montag zur Arbeit gehen wollten und plötzlich nicht mehr konnten,

weil nicht mehr einfach so – DURFTEN !

Als ich das mitbekam, spürte ich das Erdbeben deutlich. Es kam von ganz tief unten. Oberflächliches Gewackel ertrug ich schon über vierzig Jahre. Das jetzt aber, war anders. Es waberte von ganz unten, bis ganz nach oben, ein wenig wie ein lotrechter Erd-Tsunami, der mit einer solchen Macht aus der Tiefe kam, dass kein Stein mehr auf dem anderen blieb.

Erst sah ich mein altes Fachwerkhaus seicht schaukeln.

Doch ich wusste es besser. Längst hatte ich gesehen, wie viele Balken fehlten. Natürlich gab es Reserven, doch was war, wenn sie längst aufgebraucht waren? Was, wenn es nur noch ein klein wenig mehr zu schaukeln brauchte, um das schöne alte Fachwerkhaus meiner nordeuropäischen Werte zum Einsturz zu bringen, was dann?

Ich kannte die Antwort.

Mehr noch, ich spürte sie, als in mir etwas sehr Altes erwachte. Ein letztes Mal sah ich das zitternde Gebäude an. Und es blickte zu Recht erbost zurück. Meine kleine reetgedeckte Fachwerk-Kate war nicht schuld; die neuen Herren von Stadt und Land hatten es zu verantworten. Ich schluckte ein paar Mal. Es war ein Abschied für immer.

Ich wollte nicht zusehen und ging still davon, ohne mich noch mal umzudrehen.

Selbst in weiter Entfernung hörte ich das laute Krachen und Beben, als alles zu einem kleinen unbedeutenden Schutthaufen zusammenfiel. Da traf ich eine Entscheidung. Mein neues Buch würde kein schönes Buch werden. Nicht nur nahm ich mir vor, dass es garstig und böse daherkommen musste – nicht obwohl, sondern, weil ich die Menschen nach wie vor mochte – sondern vielmehr noch, erkannte ich, dass sich wir modernen Menschen aus der 1.Welt uns unsere Menschlichkeit, Solidarität und Empathie abgewöhnt hatten.

Feinsinniges erreicht keinen mehr.

Man muss stattdessen den Spieß umdrehen – statt menschliche Bedingungen in Moria auf Lesbos zu fordern, müsste man allen ihr privates Moria verabreichen, damit jeder wieder spürt, wie fragil und leicht zu beschädigen und zu verlieren Freiheit und Komfort sind. So dass jeder selbst im stillen Kämmerlein entscheiden kann:

Furcht sähen, oder Freiheit fördern…