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26.März – KI und ChatGPT – Odyssee 2023

Irgendwie hänge ich durch. Keine Depression, nein, Gott sei Dank nicht, ist eher wie’n ständiges Seufzen. War ich schon kein Freund des Kapitalismus, bin es bis heute auch nicht geworden, so befürchte ich, dass mir die Freude am Internet abhanden geht. Mir graut vor der eigenen Ablehnung des unaufhaltbaren,

weil ich ihn eigentlich mag – den Fortschritt.

Dachte ich all die Jahre. Doch irgendwie hat sich bei mir wachsender Zweifel eingeschlichen. Irgendwie drängt sich mir der Eindruck auf, dass man Digitale Früchte des Fortschritts nur mit wachsendem Mehraufwand nutzen kann.

Wöchentliche Spam-Mails, müllen mich immer mehr zu.

Seit neuestem beschreiben mir unbekannte Frauen mit allen Details in langen Ausführungen ihre Geilheit und Lebensgeschichte, in deren Mitte immer ein Link mit Ru-Endung auf mich wartet ge-klickt zu werden, Liebesgrüße aus Moskau.

Vermutlich geschrieben vom digitalen Freund ChatGPT.

Man stelle sich das vor, die Spam-Mails werden vermutlich schon lange mit KI erzeugt und jetzt auch noch der Text, will sagen, der IT-Experte, der für das Verschicken von Spam-mails bisher für journalistische Kreativität bezahlt wurde, hat ab jetzt ein leichteres Leben.

KI-Basierte Automatismen lassen ihn länger am Strand liegen,

während seine Algorithmen Postfächer überlaufen lassen. Wie toll, hoch lebe die Effizienz, womit wir bei der Ver-Ökonomisierung unserer Lebenszeit sind. Selbst unser Leben wird unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten verwurstet, ist doch prima.

Nee, finde das – zum Kotzen!

Mittlerweile bekomme ich mehr Spam-Nachrichten als neue Leser. Neulich hatte ich ‘nen Peak nach mei‘m Auftritt beim Deutsch-Französischen Forum. Dann ging‘s bergab. Meine Stammleserbrief-Schreiberin meint, meine Texte sind zu ernst, zu zynisch und zu ironisch. So schwere Kost zieht sich niemand gerne, geschweige freiwillig rein.

Die zu’s regieren meine Welt, ich weiß es schon mein Leben lang.

Heute morgen, ich lese einen interessanten Artikel eines Wissenschaftler Ehepaars, beide in KI tätig, offensichtlich bekannte Größen im Business. „Wie groß war der KI-Anteil beim Börsenhandel der Silicon-Valley-Bank, bevor sie pleiteging und diverse

Kalifornische Startup’s mit in den Ruin zog?“,

frag‘ ich mich. Bin weder Fachmann für KI, noch bei Investment, beim näheren Drüber-Nachdenken, bin ich für nichts Fachmann, stattdessen neugieriger Laie. Bin eher Fuhrmann, statt Fachmann. „Würd‘ mich brennend interessieren, wie das Risiko-Management der SVB organisiert war.

Gab‘s regelmäßige Risiko-Meetings,

von Mensch zu Mensch, oder überließ man’s KI-Basierten Leuchtturmwärtern*wärterrinnen, so nach dem Motto, „sind preiswerter als Menschen und werden uns schneller Bescheid geben, wenn Tsunamis heranrollen“.

So in etwa – ja, nein, die Klasse?“

Wenn ich an Texten feile, brauche ich immer lang, liegt wohl daran, weil ich erst durchs Ausprobieren merk‘, was gut aussieht, sich schön anhört und ebenso wichtig, was sich interessant anfühlt. Dadurch bekommt Text Leben. Wenn ihn Maschinen beim ersten Versuch in Stein meißeln,

erhöht das zwar die vermaledeite Effizienz,

„schon wieder, wie ätzend!“, aber der Anspruch ist rein ökonomischem Nutzen geschuldet. Wollen wir das? Ich jedenfalls nicht. Macht euch selber Gedanken, wie ihr das seht. Muss jeder selber wissen, was er will und vor Allem was NICHT. Klingt einfach? Hoffentlich.

Mein iPhone jedenfalls ist doof wie Bohnenstroh.

Die Whatsapp-Autokorrektur ist sogar dümmer als jeder Feldweg. Nix kann sie, ihre Vorschläge taugen nichts, besonders wenn man verschiedene Sprachen verwendet, es ist ein Graus. Im Gegenteil, sie verlangsamt den Schreibprozess, weil jedes Wort bestätigt werden muss.

Angeblich soll KI das geschriebene Wort revolutionieren.

Erste von ChatGPT geschriebene Artikel sollen besser als erwartet sein. Ständig wird die Software verbessert, ein Kumpel meinte neulich, da „stünde uns was Großes bevor“, ohne näher zu beschreiben, was er meint. Man stelle sich’s vor, morgen braucht man nur noch Eigentümer und Chefredakteure,

die Zeitungen zu zweit machen.

Was aber tun arbeitslose Menschen? Noch dazu, wenn sie kein Bürgergehalt bekommen und in keiner günstigen Wohnwabe im Stadtzentrum hausen? Was machen wir mit unserer gewonnen Lebenszeit,

surfen wir noch mehr im Internet?

Je mehr ich darüber nachdenke, sehe ich eigentlich keinen Grund zur Aufregung. Wir brauchen alles nur so zu verwenden wie Schraubenzieher, dann wird die KI auch nicht Herrscher der Welt. Ist zu naiv gedacht?

„Sollen alle verrecken, sie verdienen es nicht besser!“,

meinte letzte Woche ein Kumpel. „Sie rennen jeder Medien-Meinung hinterher, denken und überprüfen nichts selbst, kaufen sich unsinnigen Mist, den sie nicht brauchen und klagen, das zur Monatsmitte die Kohle aus ist!“, meinte er zum Ende. „Sieht man am Ukraine-Russland-Krieg, gibt keinerlei neutrale Berichterstattung,

Meinungen beherrschen Politik, Rüstung und Wirtschaft!“

Mein Kumpel ist klug und gebildet, vom Volk hält er nicht viel, obwohl er selbst dazugehört. Keine Ahnung was ihm passiert ist. „Ich widme mich lieber den geschriebenen Worten, da gibt‘s genug zu tun“, meinte ich. Wo wir bei Worten sind, der Deutsche Lesepreis 2023 ging an vier Frauen.

Keine Ahnung warum kein Mann dabei war,

wo wir auf Diversität hohen Wert legen. Vielleicht lesen Männer weniger als Frauen. Kann gut sein. Zumindest ist „Stiftung lesen“ ein Schwergewicht. Viel wichtiger ist, dass ich mein‘ Kopf freier bekomme, um am Buch zu schreiben. Zur Zeit habe ich den Eindruck, dass mich immer mehr davon abhält.

Vielleicht hilft morgen KI, mir den Rücken frei zu halten…

https://www.stiftunglesen.de/