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09.April – Brief an’s Smartphone – Odyssee 2023

Du hast mich verändert. Ewig bist du präsent. Ständig bekommst du Nachrichten. Hier ein Foto von Freunden, dort Sprachnachricht, ein paar Worte, „komme später“. Deine ewigen Updates gehen mir auf die Nerven. Sicherheit ist dir wichtig, dabei gibt‘s nur wenige Stunden ohne dich.

Selbst still stört mich deine Präsenz.

Schon vor langer Zeit verordnete ich dir Geräuschlosigkeit. Seitdem sehe ich ständig zu dir hin. Hab ich dich vergessen, zucke ich zusammen, erschrecke bitterlich. Man möchte meinen, du bist ein Freund, wenn man diese Zeilen liest, doch bist du nur ein lebloses Gerät, um das es geht.

Wie konnte es soweit kommen,

frag‘ ich mich und kenn‘ die Antwort. Im Spiegel find‘ ich sie. Vorbei beim Warten der stille Müßiggang, unterbrechende Mitmenschen mit lautem Telefonat, oder Youtube-Videos. Unsere aller Stille – längst zu Grabe getragen, Dank deiner Geburt.

Böse kann ich dir nicht sein, und doch…

Gestern Abend im Restaurant, am Tisch nebenan, mallorcinische Eltern, Vater, Mutter, zwei Kinder, Bube sechs, Mädchen acht, schweigend kaut sich die Famile in digitale Isolation. Spiele, Fotos, Aktienkurs, Fußball, alles finden wir bei dir. „Vier einsame Inseln“ dachte ich und spürte Melancholie.

Wie konnte es soweit kommen,

frag‘ ich mich und ärgere mich. Vorm Spiegel steht sie, widerwillig, bockig, besserwisserisch. Digitaler Drogenjunkie der ich geworden. Sinkt deine Energie zu weit, suche ich Steckdosen, ständig Ladegerät dabei, gleich 4711 meiner Großmutter. Immer erreichbar, effiziente Verwalterin meiner Lebenszeit.

Schnell und direkt, alles ist praktisch an dir.

Bist Religion, Sekte, Weltanschauung, wie Porsche, Harley und Champagner. Hast mein Leben fest im Griff, nach den Gesetzen des Kapitalismus. Nichts zählt, nur noch du und die Zeit. Dabei wollte ich anfangs nur mobil telefonieren. Heute schaue ich auf dein Cockpit mit 1000 Knöpfen. Wetter, Gesundheit, Termine, Flüge, nichts geht ohne dich.

Wie ging es vorher?

Dank dir bin ich überall und nirgendwo, alles zugleich und gleichzeitig. Will ich das? Ich kenne die Antwort und ändere – nichts. Abhängige bleiben stehen, verändern nicht. Bin selber schuld daran. Deine Funktionen verändern alles, „schicken Sie ’ne E-Mail, keine Post!“, höre ich mich rufen, reden, schreiben, braver Wüterich.

Ist praktisch wirklich praktisch?

Ich kenne die Antwort und ändere hoffentlich – alles. Wenn Effizienz mein Leben diktiert, wo ich suche Müßiggang, erklärt Faulheit, Komfort vieles? Kannte die Antwort und änderte alles. Warum solltest du mich aufhalten?

„Werd‘ dich Morgen links liegen lassen. Wirst sehen!“

Digitale Hygiene, ich weiß, warum alles so kam. Ich erkannte die Zeichen und habe die Wahl. Was bleibt vom Tage übrig? Kommst zurück in die Werkzeugkiste, wohin du gehörst, umgeben von Schraubendrehern und Kneifzangen.

Immer muss es soweit kommen.

Was ich dir empfehle? Mach dich weniger wichtig. Höre zu, um zu verstehen, nicht um zu antworten. Sei geduldig, dräng dich nicht auf. Sei höflich und diskret. Erzeuge Musik und Sprache, keinen Lärm. Dein GPS lasse ich verstauben, direkte Wege interessieren mich nicht,

genauso wie Ankommen, Gewinnen und Erfolg…