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22.Mai – Hellas – Odyssee 2022

Seit gestern bin ich in Athen. Zwar war ich schon ein paar Male hier, doch umhauen tut mich die Stadt immer wieder! Diesmal wohne ich in Exarchia, was ein Viertel im Stadtzentrum ist, dass am Ehesten ans Hamburger Schanzenviertel, rund um die Rote Flore erinnert.

Nur größer und – wilder!

Von gesetzesfreier Zone zu sprechen ist vermutlich übertrieben; hier residiert und haust alles dicht beieinander; großbürgerlicher Wohlstand und alternative Künstler. Irgendwie funktioniert das überall; zumindest fühlt sich das gutsituierte Bürgertum von den Kreativen angezogen, solange sie keine Seidenschals, Tweetjackets oder Hosenanzüge tragen. Hat man noch genug Punk-DNA in sich, lebt man als Kreativer vorzugsweise in solchen Hotspots.

Wer die Schanze und ähnliche Viertel kennt, weiß was ich meine.

Na jedenfalls – aus mir unbekannten Gründen, haben hellenische Alternative offensichtlich kein größeres Interesse AirBnB-Anfragen zu beantworten. Jene im USA-Stil beworbenene App, die 24h Antworten garantiert, sind in Exarchia jedenfalls nicht gültig; oder man ist viel gelassener, als ich mir das vorstelle. Alle vier Anbieter von ansprechenden, hellen, kompakten, bunten Wohnungen mit Balkon,

reagierten – nicht!

Merkwürdig, dachte ich mir. Eine fünfte meldete sich mit der Nachricht, dass ihre Kreditkarte nicht funktionieren würde, was mich wunderte – sollte ich nicht zahlen? Schnell kam dann heraus, dass sie das Geschäft in Wahrheit viel lieber unter der Hand laufen lassen wollte. Ich schwör‘s bei Zeus, meine Antwort brauchte nicht länger als drei Stunden; aber offensichtlich drückte diese lange Zeit eine Form von Zögerlichkeit bei der jungen Dame aus.

Sie antwortete mir leider nicht.

So wich ich auf Alternativen aus. Soll mir keiner hinterher nachsagen ich hätte es nicht versucht. Ich erhöhte ein wenig das Budget meines Suchfilters. Sofort türmten sich großbürgerliche Appartements und Penthäuser. Waren die Business mehr gewohnt? Oder hatten die Leute engagiert, die wie Schießhunde auf Anfragen warteten? Keine Ahnung. Als ich meine Brieftaube losschickte, hatte ich den Eindruck, dass sie gerade losgeflogen war, als ich

30min später ‘ne Zusage im Briefkasten hatte!

Wir tauschten flott Handynummern aus. Schnell bekam ich eine Whatsapp-Nachricht von einem Mobilfon, das in UK gemeldet ist. Ihr Vater – ganz unverkennbar Grieche, ein Endsiebziger würde ich denken – empfing mich und führte mich durch die sehr geschmackvolle, aufwendig und liebevoll eingerichtete Wohnung. Es roch nach altem Geld und Erfolg. Aber nicht aufgesetzt, geschweige „bling-bling“ oder so.

Schon seriös und glücklicherweise – dezent.

Materialen, Lage, Größe und Stil im Allgemeinen sprachen für sich. Auch Kunst war den Eigentümern wichtig. Ein großzügiger Balkon ließ Blicke auf die Akropolis zu, na sieh einer an, dachte ich. Nach dem der Senior gegangen war, stand ich mit meinem Rucksack noch eine ganze Weile im Salon herum.

Klar würde ich hier gut schlafen – dachte ich – keine Frage.

Warum mir Großbürgerlichkeit bis heute suspekt geblieben ist, kann ich gar nicht genau erklären. Klar ist das alles schön und geschmackvoll – ich selbst bin nicht völlig frei davon. Aber irgendwie drückt dort diese besondere Form von aparten Materialismus unbewusst aus allen Poren.    

Vermutlich mag ich den Raum nicht, dem man Geld einräumt.

Denn Geschmack hat grundsätzlich nichts mit Geldbörse zu tun; zwar kann ich mir mit ‘ner Großen mehr kaufen, aber ohne Geschmack sehen wir ja täglich, was dabei herauskommt. Unzählige Wohnungen habe ich gesehen, die spannend und großartig auf mich wirkten, wo Besitzer Geschmack und Kreativität bewiesen.

Auch ich bin Ästhet – so ist das ja nicht!

Geschmack und ein Gefühl für Formen und Farben hat meine Familie auch; nur irgendwie alles in leise und bescheiden; ist es das vielleicht? Ich meine nicht, denn ich habe ein gutes Gegenbeispiel im engen Freundeskreis. Mein Kumpel T. ist sogar adelig; selbstverständlich würde er sich an dieser Stelle mit Händen und Füßen wehren, was aus meiner Sicht genau daran liegt, dass er nämlich bescheiden, natürlich und er selbst geblieben ist.

Vermutlich schätze ich ihn deswegen auch sehr!

Wie dem auch sei; vielleicht klärt sich das ja noch alles auf: jedenfalls bin ich nicht nach Athen gereist, um über mein Verhältnis zum zentral-euröpäischen Großburgertum nachzudenken, sondern um hellenische Freunde zu treffen und um mir einige Sprach- und Kultur-Infusionen in die Venen zu jagen, um mit wachsender Neugier zu sehen, was das mit mir macht.

Vielleicht werde ich grün und verwandle mich in was Merkwürdiges!

So wie man in Athen jedenfalls Motorrad und Roller fährt, könnte man tatsächlich meinen, dass hier alle crazy sind. Müßiggang suche ich hier seit Jahren vergebens. Männlein und Weiblein erinnern mich – ich versuch‘s mal mit Comic-Figuren – eher an ‘ne Mischung aus „Tasmanischem Teufel“, „Speedy Gonzales“ und dem „Roadrunner“, die bekanntermaßen nicht unbedingt für Ruhe und Ausgeglichenheit bekannt sind.

Jetzt verstehe ich meinen Freund – Diogenes!

Wie er in der düsteren Welt nach einem Menschen suchte; so fühle ich mich auch manchmal, ohne dass ich das jetzt depressiv, melancholisch, oder in irgendeiner Form negativ empfinde; die heutige hektische Zeit lässt wenig Raum für Muße und Zeit fürs Flanieren; doch habe ich das Glück viele tolle Menschen zu kennen.

Aber dazu später mehr – schönen Wochenstart wünsch ich euch allen…  

PS: Ganz klein am Ende der Straße, erhöht & bestrahlt – die Akropolis…

Odyssee 2019 – Teil1

Adonis sprach von der Weisheit der Götter, dass Griechenland ständig im Clinch mit sich selbst, oder mit einem oder mehreren Eroberern gleichzeitig lag, er holte noch weiter aus und erklärte mir, warum die Sterne so großen Einfluss auf uns Menschen haben, warum wir Menschen ein Wunder sind, auch wenn wir so viel Leid verbreiten und dass er sie aber immer noch von ganzem Herzen liebt – dass den Griechen und ganz besonders den Kretern das Teilen und Geben ihrer Natur entspringt, warum er seine Frau und das Matriarchat verehrt und warum der weiseste Mensch, den er je in seinem Leben treffen durfte, ein Schafhirte ohne Schulabschluss ist.

Keine Ahnung, wie lange wir in seinem kleinen Blechcontainer am Flughafen standen – ich glaube, eine kleine Ewigkeit – irgendwann, schwenkten wir auf Pferde und Motorräder um. Ich hatte eins bei ihm gemietet. Als Pauschaltourist über diese geheimnisumwitterte Insel zu kommen und mich in irgendwelchen Touri-Hochburgen sattfressen, während mechanisch-lächelnde Inselbewohner sich genötigt fühlen, angelsächsische Mundflora-vergewaltigende Anglizismen zu benutzen, kam für mich nicht in Frage – weder wollte ich Deutsche, Briten oder Russen, englisch reden, noch ihre imperialistischen Verhaltensstörungen spüren.

Für mich gab es nur eins: Ein Dorf in den Bergen, wo es nur und ausschließlich eine Hand voll Inselbewohner gab, die garantiert nur ihr kreta-griechisch sprechen, damit ich endlich einsam und verlassen und hoffentlich schnell verloren war.

Erobern wollte ich die Insel – mit Leib und Seele spüren – Kultur, Sprachen, Menschen, Speisen, Farben und ihre mir unbekannten Eigenarten einatmen – sie schmecken – erleben, wie sie mit mir umgehen – herzlich und liebevoll, oder ruppig, abweisend, vielleicht sogar feindselig – einen riesigen Bogen um jeden Kompromiss wollte ich machen, soviel war klar. Als mir Adonis die XT660 an mich übergab, fühlte ich mich wie Alexander der Große, der auf Anhieb Bukephalos zähmte – wir waren füreinander bestimmt – ich spürte es sofort.

Mit der Halbschale auf dem Kopf, dem plötzlich handzahm gewordenen Rassepferd unterm Hintern, der Sonne über mir und der geballten Energie von hundert-tausenden Kretern um mich herum, hatte ich das Gefühl, mich gleich direkt mit Zeus anlegen zu können – er hätte keine Chance gehabt, Göttermacht und Blitze hin oder her.

Beseelt und bereit für mein Abenteuer lächelten wir uns an, nickten wie Blutsbrüder, bis ich stolz und hocherhobenen Hauptes aus Adonis sicherem Hafen auslief und nach wenigen Metern, vom quirligen Verkehr verschluckt wurde, wie eine Flaschenpost vom Amazonas. Sonne, Wind, Freiheit – wie fantastisch konnte das Leben sein, dachte ich und knatterte zur ersten Kreuzung, die eher an einen Kreisverkehr erinnerte, als an ein nach Farben geordnetes Verkehrssystem – Ampeln blinkten in allen Farben – Autos, Motorräder und Lieferwagen schoben sich abwechselnd durch den gewaltig pulsierenden Blechsalat, der wechselweise mal zu platzen oder zu schrumpfen drohte – herrlich, was für ein Wahnsinn, einfach wundervoll!

Irgendwann dröhnte ich mit meinem Pferd auf die Autobahn. Nicht nur, dass die Auffahrt schon wie ein Feldweg dritter Klasse aussah, völlig zugewachsen und übersät mit abgerissenen Pflanzen-Köpfen und ich der einzige auf der Insel zu sein schien, der einen Helm meinte tragen zu müssen, nein es wurde noch viel besser – hier und da spazierten Menschen am Straßenrand, mit und ohne Kindern an der Hand – Seitenwechsel schien auf Autobahnen genauso üblich zu sein, wie die Tatsache, dass man mit jedweder Geschwindigkeit fahren konnte.

Mofas mit höchstens vierzig Stundenkilometern, beritten von Hundertjährigen, die mit Zigarrenstumpen, fleckigen Unterhemden, Flipflops und Shorts unwirkliche Mengen Leergut in ihren Plastiktüten spazieren fuhren, während weißes Haar sie umflatterte, wie Intschutschuna, den großen Häuptling der Apatschen, das im schönen Kontrast zu den hageren, zerklüfteten und ausgemergelten Gesichtern stand, die an Mahagoniholz, oder lederbezogene Korallenriffe erinnerten.

Reisebusse, die sich nachdrücklich wippend und nickend vorbeischoben; röhrende Autos, die aussahen, als wären sie bis eben Statisten in einem Sergio-Leone-Western gewesen, während uns diese bunte Emir-Kusturika-Aspahaltschlange aus Heraklion gebar, die wie ein offener Organismus in der Sonne pochte, pulsierte und seine Bewohner durch enge Kapillare drückte, Vehikel und Menschen mit großer Reibung aneinander vorbeizwängte, um eine drohende Verstopfung, einen Infarkt zu verhindern.

Noch nie sah ich so offen gelebtes lebendiges wahres Leben – noch nie sah ich so viel Leidenschaft auf einem Haufen, auf einem Flecken Erde – was für eine erleuchtende Erfahrung. Berührt, wie ein Sängerknabe trabten Bukephalos und ich weiter – nach und nach änderte sich die Farbe der an uns vorbeiziehenden Landschaft – das satte Weiß der Stadt wich mehr und mehr den bunten Farben der Berge und Dörfer – schon bald sah ich das ersehnte Schild, „Gazi“.

Hier musste ich wieder runter – es kam mir vor, als wäre ich schon Stunden lang gefahren und hatte alle meine Tanks mit Reizüberflutung gefüllt, stattdessen fuhr ich erst wenige Minuten und war jetzt schon hin und weg. Beim Abfahren wackelte mein Blechpferd komisch herum – ich dachte zuerst an ein loses Hinterrad, was nicht weiter schlimm gewesen wäre, hatte ich doch ein wenig Werkzeug eingepackt – dann schob ich den unruhigen Lämmerschwanz auf die groben Stollenreifen, die bekannt dafür sind, dass sie ein Eigenleben haben.

Nachdem ich ein paar Mal kräftig am Gas gezogen hatte, stabilisierte sich die Fuhre – es ging weiter und weiter. Als die Ampel, vor der ich zum Stehen kam, anfing zu blinken, wusste ich als erfahrener Kreter bereits, dass losfahren grundsätzlich erstes Gebot schien – wieder schlingerte Bukephalos, was das Zeug hielt.

Langsam schraubten wir uns in die Berge – Damásta – endlich sah ich ein erstes Schild, mit dem verheißungsvollen Namen drauf. In langen und manchmal knackigen Serpentinen kletterten wir weiter und weiter hinauf – hier und da knallten Bodenwellen direkt in Knochen, sowie in Weichteile – halb so wild – nach und nach gewöhnten Bukephalos und ich uns aneinander – wir wurden mutiger.

In guter Offroad-Manier bliesen wir zum Angriff, gegen alle Insel-Gebirge – im Galopp fegten wir auf die engen Kehren zu, um mit Schwung durch sie hindurch zu brausen, wie der heiße Scirocco aus der Sahara, dass einem nur noch Zähneknirschen übrig blieb. Hin und wieder zitterte Bukephalos Hinterteil, ähnlich wie auf der Autobahnabfahrt, jedoch nur sehr schwach – ich schenkte dem Phänomen keine Beachtung mehr und genoss meinen Sturm in den Himmel.

Ein erstes Straßenschild, erinnerte mich daran, dass es von ihnen kaum welche gab, ebenso die Gründe und das allgemeine Niveau ihrer Wertschätzung der Inselbewohner gratis mit dazu – von dutzenden Kugeln durchsiebt stand es einsam und verlassen im heulenden Wind – beeindruckt vom Drang der Insulaner, lieber zu handeln, als zu warten, erinnerte es mich wieder daran, welche Parole die Griechen und ihr Land hochhalten: „Freiheit oder Tod!“ – langsam dämmerte mir, dass ich nicht nur auf dem südlichsten Punkt Europas, sondern auf einem ganz anderen Planeten gelandet war!

Immer größere Berge schoben sich aus der Deckung – manche karg und ermahnend, doch die Mehrheit bunt überdeckt mit gewaltigen Teppichen aus Kräutern und Sträuchern, die vermutlich seit Jahrtausenden üppig wuchsen, nicht nur mächtig angefeuert, durch das vulkanische Gestein, das der große Vulkanausbruch von Santorin über der gesamten Insel, vor ungefähr drei bis viertausend Jahren, hinabregnen ließ, sondern wahrscheinlich auch ungezählte Schlachten von Helden, die ihr Blut gegen Feinde und Monster vergießen mussten, dass die Erde noch heute dunkelrot in der Sonne glänzt, als wären die letzten erste gestern und nicht vor hunderten von Jahren gefallen.

Wind begann stärker zu blasen – keine Ahnung in welcher Höhe wir uns befanden. Nur einmal kurz, konnte ich Heraklion sehen, wie es weit weg, klitzeklein, weit hinten und unten zusammengekauert, auf den nächsten Tag zu warten schien, um seine Bewohner weiter durchs Leben zu scheuchen. Ein erster kleiner Ort kündigte erste Bergbewohner an – ein Ortsschild huschte gemächlich an meinem Rappen vorbei – doch zu schnell, um den Namen mit meinen wenigen Sprachkenntnissen lesen, geschweige richtig aussprechen zu können – beim nächsten Mal.

Pickups ermahnten mich, wo ich mich hier befand. Nackte Kinder rannten hin und wieder über die Straße, mit und ohne Ball – ein paar Knäule Gesträuch rollten über den glänzenden Teer, als spielte ich die Hauptrolle in einem Quentin Tarantino Streifen.

Sissyphos

Ich saß in den Dünen. Struppiges, ein wenig störriges Gras wucherte hier und da. Man meinte zu glauben, dass es überall wachsen könnte. Ich sah in die Ferne. Mein Atem ging ruhig und langsam. Hin und wieder schweifte mein Blick träge umher. Mal links, ein anderes Mal nach rechts. Wind peitschte mich durch. Manchmal aus. Ich glaube er war sauer. Eine Mischung aus Überraschung und Anerkennung, weil ich immer noch da war. Mächtig zerrte er an mir. So wie der Sand, der sich aufgeregt mitreißen ließ, der Finger und Wangen wie tausend kleine Stecknadeln malträtierte; so wie seine senffarbenen Körner, die in meine Augen sprangen und boshaft Lied und Auge zu Tränen raspelten; so wie das abgerissene Gesträuch, den der Sturm über den menschenleeren Strand fegte; so wie all den Dreck und Unrat, den man mir um die Ohren bläst und mich zum Verspeisen zwingt; so wie das Leben.

Ungeduldig wuchs das junge Jahr in die Höhe, forderte wild und mächtig, rüttelte an mir rum, scheuchte mich auf und hoch. Bevor ich mich versah, pustete der stürmische Wind Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen daher, die hier und da sich manchmal in meinen Wimpern verfingen, energisch festklammerten und herumwippten, als wäre ich ein Ast, dessen Obst man durch wüstes Gezerre zum Herunterfallen zwingen musste. Nie hörte es auf. Soweit mein fröhlich Äug auch sehen mochte: Überall dasselbe. Grotesken siegten immerzu. Mit gezeitenhafter Zuverlässigkeit, wurde jedes kleine Licht, dass mein Gemüt im trüben Grau des Weltenwahnsinns erhellen wollte, mit stumpfem Stil und schwerem Hammer eingefangen und in den Hades der Bourgeoise gesteckt, dass jedes Leuchten das Weite suchte. Was nützte einem das Fliehen? Was, das Ausblenden, spürte man doch, dass das Absurde sich vor einem biblisch auftürmte und weiter wuchs?

In weiter Ferne spazierte ein Hund mit einem Mensch. Unregelmäßig drehte er seinen Kopf, sah sich um, ob der Zweibeiner verlorengegangen war. Zwei untrennbar miteinander Verbundene; des Hundes bester Freund. Strandgut lag herum. Des Himmels schmieriges Grau verschmolz mit dem matten Metall der Nordsee, die ihren Glanz von der drahtigen Windenbürste abgekauft bekam. Fauchend schrie der Wind zuweilen auf, heulte sich weiter unter die Haut. Es war grausig kalt, so sehr, dass selbst die Knochen zitterten. Der arktisch-beißende Wind ließ Solschenizyns Gulagimpressionen hochkommen. Zerzauste Schaumkronen, hüpften auf den Wellen, zeigten mir meinen Platz in der Welt. Viel galt es zu tun, um ein wenig Stille und Frieden zu bekommen, war er auch fragil, wo ein jeder an ihm rüttelte und hoffte das babylonische Glück zum Einsturz zu bringen.

Ich griff das verfilzte Dünengras, ließ es durch meine klammen Finger gleiten. Gierig biss es sich in meiner Haut fest, riss an meinem Fleisch. So wie es alle fleischfressenden Pflanzen taten. So wie die Zeit. Ich dachte an den Morgen. Gut, wie der Leibarzt des Papstes hatte ich geschlafen. Geträumt hatte ich, viel und beeindruckend, dass selbst Morpheus anerkennend genickt hätte. Nach einiger Zeit bemerkte ich den fragenden achteckigen Duschkopf, der über mir wie eine Guillotine baumelte. Offensichtlich war ich aus dem Bett raus. Hallendlaut geschwiegene Worte starrten die Brause an, als wäre sie ein Vogel Strauß, der mit seinem Kopf hoch über uns aufgeragt zu uns herabschaute. Meine Füße wurden kalt, versuchten sich einzurollen und festzukrallen, als würde ich auf einem Ast sitzen. Begriffe waren so ersetzbar wie das große Alles.

Ich dachte an meinen Traum. Es war wieder der Turm. Er kam jetzt immer häufiger vor, besuchte mich fast jede Nacht, wie ein gieriger Alb der seine lästigen Geschichten loswerden wollte. Riesig groß türmte er sich vor mir auf. Ich sah einen Eingang. Da war eine Treppe. Wie viele Stufen es wohl waren, bis man ganz oben war? Vielleicht war es ein Leuchtturm, oder so was? Langsam, fast vorsichtig, um den Turm ja nicht aufzuwecken, ging ich zum Eingang. Um mich herum ein Meer von Irgendwas. War es Wasser? Felder, Steine oder die Steppe der Belanglosigkeit? Ich erinnere es nicht mehr. Ich begann mit dem Aufstieg. Er war lang, so wie der Einkauf im Supermarkt zu Sylvester, kurz vor Ladenschluss. Jedes Jahr dachten die Menschen, dass sie Neujahr nichts mehr bekamen. Vorratskammern wurden gefüllt; selbst die unnötigsten Dinge wurden gekauft, jene die man das ganze Jahr erfolgreich gemieden hatte; selbst in die dickste Schlange reite man sich ein, um den Zeitpunkt der letzten Zahlung soweit es ging hinauszuzögern und alle zeitlichen Möglichkeiten miteinbeziehend, an die letzten kleinen Dinge, Jene die man dann doch vergessen hatte, ganz überraschend einfallen zu sehen. Siebzig. Mittlerweile war ich schon eine Weile die Treppe hochgewandert; irgendjemand zählte mit.

Nach einer Weile kam ich oben an. Gute Sicht. Weit und klar. Jedoch das gleiche Feld der Bedeutungslosigkeit wie unten. Nur mit mehr Sicherheit, dass sich auch in größerer Entfernung nichts ändern würde. Komischer Aufstieg. Bekam man nicht meistens ein Hochgefühl geschenkt, wenn man den Aufstieg schaffte? Bekam nicht auch der Bergsteiger Eines, wenn er den fünftausend Meter Hohen besiegt hatte? Waren Ziele alleine nicht Grund genug sie anzugehen?

Mit einem riesigen Fragezeichen im Gepäck und im Gesicht machte ich mich an den Abstieg. Wo war da der Sinn, wenn das Ziel keines war? Während ich gemütlich vor mich hin weiter und immer weiter hinabschritt, fing ich aus unerklärlichen Gründen an zu lächeln. Immer breiter und breiter. Komisch, dass der Aufstieg immer länger, als der Abstieg dauerte. Warum auf einen Berg gehen, wenn das Ziel nicht der Erwartung entspricht? Hatte man immer welche? Warum sich bemühen, wenn die Mühe so wenig lohnte?

Wieder weite Ferne. Hund und Mensch gingen längst getrennt. Ich sah, wie eine riesige Distanz zwischen den beiden klaffte. Der Wind hatte meine Hände, trotz der dicken Handschuhe, völlig ausgekühlt. Beißend grub sich die Kälte eine Welle kratzender Unterkühlung in mein Fleisch. Der Sand schmirgelte mir die Gesichtshaut ab. Das zischende Pfeifen des Windes grub tiefe Löcher in meine Gelassenheit. Wie ein fröhlicher Eiszapfen tropfte meine Nase leise vor sich hin. Alles war absurd. Man konnte machen was man wollte, es wurde nicht besser, nicht sinnführender. Alle haben es versucht; durchbohrten die Begriffe mit ihren intellektuellen Werkzeugen wie einen Schweizer Käse; alle rackerten sich daran ab; was blieb war die Absurdität des Ganzen. Doch was war mit der Freude? War sie ebenfalls absurd? War sie so etwas wie die böse Zwillingsschwester? Was war sie? Konnte die Freude gar der Sinn sein, auch wenn er so absurd blieb, wie ein Lemming, der kurz vor dem Sprung in den Tod erkennt, dass er gerne Lemming war?

In meinem ungeträumten Traum sind alle Menschen glücklich. Jeder mit sich selbst. Manche mit sich und Jemandem zusammen. Sie alle sind Träumer eines surrealen Lebens, das sich gleich einer Wendeltreppe durch die projizierte Zeit schraubt, wissend, dass es egal ist, an wessen Leinenende, Treppenende man geht, solange man sich dessen bewusst ist und den absurden Gang in die nächste Skurrilität lächelnd, mit Freude geht. Dann hätte unser Leben einen Sinn, selbst nachdem all die Zweifler, Nörgler und Denker, die doch nur Furcht vor Selbiger haben, jeden Baum der Erkenntnis gefällt, der vom Pilz des Zweifels befallen war:

Freude!