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Digitale Transformation – Odyssee 2019

Eben beim Frühstück kamen sie mir hoch, die Unwörter des Jahres. Digitalisierung und Transformation. Wie Fliegen auf Scheiße, springt unsere übergeschnappte Welt auf diesen Hype. Jeder ist digital unterwegs. Irgendetwas ist jeder am Transformieren. Der eine im Business, der nächste Privat und der Übernächste sein ganzes Leben.

Ich für meinen Fall gehe da nicht so weit. Analoger Mann in digitaler Welt, trifft auf mich mehr zu. Nicht weil ich negativ, gar pessimistisch oder unmotiviert bin, im Gegenteil. Optimist bin ich, zwar ein kritischer, aber ein echter Fall von Halbvollglas-Charakter. Neugierig bin ich auch. Alles will ich wissen. Alles und sofort. Geduld habe ich auch, aber nicht mit der Gießkanne, über alles gleich verteilt. Eher gezielt ausgesucht.

Gestern habe ich ein wirklich disruptiven, spannenden Transformationstag gehabt, in dem ich in die hochverdichtete braune, dampfende Masse der Digitalisierung getreten bin, ohne es zu merken. Seit gestern habe ich den Beweis, dass die Digitalisierung uns eventuell bereits entglitten ist. Nein, nein, nicht wie Dorothee Bär, die Staatsministerin im Bundeskanzleramt es gerne hinstellt, dass wir Acht geben müssen, die Daten der Bürger zu schützen und sie im Auge zu behalten. Wieso nur die Daten? Wieso nicht den ganzen Bürger, frag ich mich? Seit gestern habe ich die Antwort. Mir drängt sich dei Vermutung auf, dass Bürger das Medium der Digitalisierung, nicht das Zentrum sind, um das es geht.

These1: Beeinflusst die Digitalisierung meinen Alttag? Wenn ja, wie? Verbessert, oder verschlechtert er sich? Stagniert er gar? Heranführung1: Meine braunen Lieblings-Stiefel sind kaputt. Glatt in der Mitte gebrochen. Leider habe ich vergessen, ein Foto zu machen. Nun gibt es in Deutschland die Handwerkerinnung. Bereits seit hunderten von Jahren. Mehr als fünfzehn Gewerke gibt es. Für Kraftfahrzeuge, Zimmerer, und natürlich Schuhmacher.

Zu Letzterem gehe ich immer dann, wenn meine Schuhe einen Plattfuß haben und wenn ich neue Birki‘s brauche. Ihr wisst schon Birkenstock Sandalen. Früher nur von Hippies, Religionslehrern, Aussteigern und Jointrauchern getragen, heute hip und chick, seit Hollywood darin rumstolziert. Was das mit Dorothee zu tun hat? Schauen wir mal.

(Info & Anliegen zugleich: Liebe Frau Bär, ich finde es super, dass es sie gibt – aber ich rege an, noch mal ein wenig auf ihrem Mandat herum-zu-meditieren, da es mitnichten um digitale Daten der Bürger geht, sondern um die Frage, wie das Leben der Bürger durch Digitalisierung verbessert wird – UND – ich betone es noch mal in aller Bescheidenheit – UND – um Aufzuklären, welche Verantwortung der Bürger darin hat – nicht theoretisch, sondern praktisch, im Alltag!)

These2: Setzen wir Menschen moderne Technologien gezielt und effizient ein? Oder schlagen wir über die Stränge, indem wir neue Gadgets für alles Mögliche verwenden, weil es in aller Munde und daher unsere Standardantwort und Allzweckwaffe ist? Heranführung2: Seit Monaten ist Herbst. Nein, nicht seit 1977. Seit Oktober verlieren die un-digitalen, völlig natürlichen Bäume ihre Blätter.

Seitdem hat man den Eindruck in Vietnam oder Kambotscha zu leben – ich zumindest – denn seit dem das erste Blatt hinuntergefallen ist, verpesten laut brummende Laub-Gebläse Nasen und Gehöre, dass die buchstäbliche Schwarte kracht. Erst einmal trägt der arme Blatt-Operator ca. 5-10Kg extra auf der Schulter, verbrennt fossile Kraftstoffe und verpestet seine eigene Luft, die er einatmet, anstelle die alte Methode zu wählen, die für den Körper gesünder ist, wenn man sich beim Haken mit den Seiten abwechselt.

Zurück zu Heranführung1: Ich also hin zu Schuhmeister Stehle in Lütjensee. Er und seine Frau führen ihren Laden dort seit 40 Jahren. In Zahlen: Vierzig! Der Gute Meister Stehle sieht einem aus Entfernung an, ob man Einlagen braucht, oder ob man Schwierigkeiten mit seinem Bewegungsapparat hat, mindestens so gut wie ein Orthopäde, was daran liegt, dass er auch ein staatlich geprüfter Orthopädie-Schuhmeister ist. Natürlich hat er seit fast 40 Jahren – in Zahlen FAST 40 Jahren – Birkenstock Sandalen angeboten, weil die tatsächlich voll gut sind, ey!

Als ich also zum gefühlt hundersten Mal das Geschäft betrete, springt mich zuallererst die gähnende Leere an, die im Geschäft herscht. Herr und Frau Stehle sind so freundlich und nett wie eh und je. Tür öffnen, eine Klingel schellt, bring-bring. Ich trete ein.

„Moin. Ich habe zwei Anliegen. Schauen sie mal. Ist glatt in der Mitte gebrochen. Können Sie das reaprieren, Herr Stehle?

„Na sicher. Zeigen Sie mal. Ja kein Problem. Und das Zweite?“

„Ich brauche neue Birkenstock-Sandalen. In Größe 45, schwarz, ich glaube das Model heißt…“

„Nee, dass wird leider nichts!“

„Wieso denn das….?“ Sprachlos bleibt mir der Mund offen stehen.

„Birkenstock beliefert uns seit 2015 nicht mehr…….“

„Wie meinen Sie das, beliefert…..Birkenstock will nicht mehr, dass Sie deren Schuhe verkaufen…?“

„Doch schon, aber seit Kurzem, wollen die, dass wir ein Schuhsortiment im Wert von 10.000 Euro kaufen, sowie vorab benennen, welche Modelle darin enthalten sind, obwohl wir doch gar nicht wissen, welche Schuhe sie als Kunde wollen….“

„Häh…? Was soll denn der Quatsch…? Seit vierzig Jahren…..“ Herr Stehle unterbricht vehemennt.

„FAST vierzig Jahre. Seit 2015 nicht mehr……“

„…okay, FAST vierzig Jahren, verkaufen sie Birkenstock und jetzt auf einmal nicht mehr….?“

„…Naja, die haben früher ein großes Lager gehabt, um alle Schuhe für Sie als Kunden bereit zu haben, damit sie jederzeit alle Modelle bekommen…….“

„Ach so und jetzt verlagert man die Lagerkosten einfach, indem man vorab liefert und die Ware dann bei Ihnen steht, inklusive Vorkasse…?“

„So in etwa.“

„Hm, das ist ziemlich einseitig, finden Sie nicht?“

„Wem sagen Sie das….“

„Oh, ich sehe sie schließen am 24.12. für Urlaub? Schön. Bleiben Sie hier oder fahren Sie…..“

„Kein Urlaub. Wir schließen…….“

„Wie, Sie schließen? Klar schließen Sie, ist ja Weihnachten….“

„Sie verstehen nicht, junger Mann. Wir schließen unser Geschäft. Feierabend. Schluss. Ende.“

„Ja, aber, haben Sie keinen Nachfolger?“

„Nein, wo denken Sie hin? Handwerk will heute keiner mehr…..schon gar nicht hier draußen!“

„Wie meinen Sie das? Will keiner? Sie haben doch immer gut zu tun…..“

„Natürlich. Aber die jungen Leute wollen in die Stadt. Außerdem gibt es heute Online-Schuhläden. Wer repariert denn heute noch? Man geht mit der Mode. Kauft flott über das Internet….und fertig. Was meinen Sie, wieviele sich bei mir beraten lassen und dann im Internet bestellen….viele…..“

„Aber das ist doch das Gegenteil von Nachhaltig, wenn ich mehr wegschmeiße als repariere? Ich will doch den Schuh anprobieren? Wieso bestelle ich Schuhe im Internet? Auf Foto’s sehen die doch anders aus, als in echt? Kapiere ich nicht….“

„Sie denken so, aber die Mehrheit……“ Ich unterbreche energisch, mir schwillt der Kamm.

„Sie sagen, dass viele zu Ihnen kommen, von ihrer Erfahrung und Ihrem Wissen profitieren und dann im Internet Geld sparen, weil es noch dazu bequemer ist…..?“

„…für das erste Ja. Geld sparen, tun Sie im Internet aber nicht. Oft sind die Preise die gleichen. Und ob es bequemer ist, Schube wieder zurückzubringen, wenn sie nicht passen oder den Vorstellungen nicht entsprchen, dass wage ich zu bezweifeln……wir sollten irgendwann alle fünf Jahre Prüfungen ablegen, um den Schein als orthopädischer Schuhmacher zu halten, der kostet 5000€. Außerdem haben sie dann eine gewaltige Adminstrationsmaschine zu füttern, wenn Sie mit den Krankenkassen zu tun bekommen. Ohweh, wenn Sie mal einen Fehler machen. Wir haben uns dann entschieden, aufzuhören, weil es nicht mehr um gute Schuhe und zufriedene Kunden, sondern der neuen digitalen Welt offensichtlich um was anderes, jedenfalls um etwas anderes als uns, geht. Daher fiel uns der Entschluss leicht.“

„Aber, dann gibt es hier auf dem Land keinen Schuhmacher mehr, oder wie sehe ich das…?

„Richtig. Da müssen Sie dann nach Hamburg reinfahren….“

„Und was ist, mit all denen, die nicht mal eben nach Hamburg reinfahren können….?“

„Tja, für die wird es schwerer, Schuhe zu bekommen…….“

„So einfach ist das? Zusammenfassend gesagt: Wachsende Bürokratie im Gesundheitswesen, kombiniert mit bequemen, voll digital-geblitzt-dingste, noch dazu rücksichtslose, ihre Verantwortung als Kunden ablenende Bürger sorgen dafür, dass in Lütjensee, ab 2020 kein Schuhmacher mehr ist, zum ersten Mal, seit bestehen des Dorfes, ist das so?“

„So ist es. Lassen Sie sich doch keine grauen Haare wachsen. Wenn Sie sehen würden, mit was für einen Tunnelblick die Autofahrer hier durch den Ort fahren, da wette ich, dass es niemand merkt, wenn wir weg sind. Erst, wenn jemand mal einen kaputten Schu hat, so wie Sie jetzt….aber ihre Schuhe repariere ich noch. Kommen Sie am 24.12. bis 12:30 vorbei. Das letzte Paar Schuhe, das ich repariere…….“ ich ringe nach Worten….

„Ja……………. ! Will sagen NEIN…..ich bin nicht einverstanden, dass Sie schließen. Und all das, was sie da sagen, lässt mich wütend werden. Um was geht es denn? Um Schuhe. Stattdessen bekommt man klar gezeigt, dass Adminstration, Zahlen und digitaler, vermeintlicher Internet-Komfort wichtiger sind, als die Sache selbst, nämlich, dass ich Schuhe brauche, und welche repariert haben muss…..zum Kotzen!“

„Ärgern Sie sich nicht……“

„Doch, verdammt…..das hat doch nichts mit nachhaltig, vegan und ökologisch zu tun, wenn ich mein Geld zu Internet-Firmen bringe, während die kleinen Händler um die Ecke alle dicht machen…..dann schaffe ich doch meinen eigene Arbeitsplatz übermorgen ab……..kapiert das in diesem Land keiner….wir sehen uns Dienstag, am Heiligen Abend – im wahrsten Sinne….!“

Anmerkung des wütenden Autors: Geschätzte Frau Bär – ich habe mir die Zeit geniommen, Ihre Seite zu besuchen. Ihre Digitale Agenda liest sich ganz gut, allerdings fehlt ein entscheidender Passus. Menschen sollten wieder vermehrt auf dem Land leben und dort arbeiten, um weniger Straßen zu nutzen, die Umwelt weniger zu verschmutzen und um mehr Arbeitsplätze auf dem Land zu erhalten und neue zu erschaffen. Hierfür brauchen wir in der Tat überall ein gut ausgebautes Daten-Netz – Kern des Ganzen muss aber die Dezentralisierung sein.

Städte müssen aufhören zu wachsen, auch um der Mietpreise Willen. Bevor jedoch neue Möglichkeiten wie Startup’s im Ländlichen wachsen, müssen die vorhandenen Geschäfte modernisiert werden. Schlachter, Bäcker, Handwerksbetriebe, Schuhmeister etc. müssen mit ihren Erfahrungen gestärkt und gefördert werden. Man muss ihnen zuhören. Vereinfachen statt verkomplizieren. Der Bürger und seine Bedürfnisse muss im Mittelpunkt stehen, keine Adminstration.

Erfahrene Meister müssen gezielt mit jungen möglichen Nachfolgern zusammengebracht werden. Hier können Sie helfen. Bringen sie die junge digitale Generation mit der analogen zusammen. Schaffen Sie wirklich Neues – auf dem Land, nicht in der Stadt, damit die wachsende Zahl der Rentner ebenfalls die Möglichkeit hat, daran teil zu haben. Zur Zeit verödet das Land auch in Sachen Geschäfte und Unternehmen. Dieser Trend muss aufgehalten werden, im Sinne der Bürger und der Umwelt.

Dies muss das wahre Ziel der Digitalisierung sein udn keine Transformation zum Selbstzweck, als unregulierbares Phänomen. Jedoch bedarf es hierfür einen aufgeklärten Bürger und Konsumenten, der sich seiner Verantwortung bewusst ist. Auch dies ist ihre Verantwortung – Digitale Aufklärung, oder in anderen Worten, die „Digitalisierung und ihre Folgen“

PS: Jetzt muss ich meine Latschen selber reparieren, wo ich keine neuen bekommen – save the Planet!

(siehe Link, Digitale Agenda 2014 – 2017 ab Seite 2 – Einleitung „Digitale Agenda für Deutschland)

http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/publikationen/themen/it-digitalpolitik/digitale-agenda.pdf?__blob=publicationFile&v=4