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14.Mai – Nachschenken – Odyssee 2023

Zur Zeit achte ich auf meinen Alkoholkonsum. Was will man machen, jeder braucht Disziplin, sonst landet man in der Hölle. Tief in mir drin hasse ich sie zutiefst, erinnert sie mich doch an meinen Alten. Was ging er uns mit seiner Scheißdisziplin auf’n Wecker.

„Sohn, das ganze Leben besteht aus Kampf!

Täglich musst du dich behaupten, dich beweisen, ohne Fleiß und Disziplin läuft da nichts…“, so klingelt‘s mir noch heute in den Ohren. Wie sehr ich seine Welt hasste. Klar hat das für ihn funktioniert. Hut ab, hat sich ganz alleine aus dem Dreck gezogen.

Ist bettelarm aufgewachsen.

Geboren 1938, Vater im Krieg geblieben, drei Geschwister, mussten auf die Felder, Kartoffeln klauen, zum überleben. Volksschulen mit Backpfeifen und Löchern im Dach, alles lag in Trümmern. Mit 14 in die Lehre, Studium konnte sich niemand leisten.

Im Lehrbetrieb gab‘s weiter Schläge.

Und das nicht zu knapp, wie er auch heute noch erzählt. 48h arbeiten, plus Samstag Werkstatt aufräumen, da wusste man, warum man Abends nachschenkte. Hatte letztlich Erfolg, all die Plackerei machte sich bezahlt, aus seiner Sicht.

Disziplin ist wichtig, schon klar.

Aber in homöopathischen Dosen, statt mit der Gießkanne. Meine Form von Disziplin sieht so aus: Ein bis drei Tage in der Woche trinke ich nur Wasser. Normalerweise klappt das ganz gut. Auch am Wochenende, versuche ich Acht zu geben.

Klingt protestantisch, ein wenig nach meinem Vater, ich weiß.

Gestern dann der Ausgleich, hab die Zügel schleifen lassen. Waren bei Cedric und Eric im Bistro „La Goulue“, zwar hatte ich ‘ne kurze Woche, dafür war sie aber Scheiße wie ein Monat. Unpünktliche Kollegen und Aggressionen am laufenden Band.

Einer schrie mich am Telefon sogar an!

Dachte mir klingeln die Ohren, all die dusseligen Meetings hätten wir uns sparen können, entweder ließen sie mich alleine wie‘n Idiot im Regen stehen, oder kamen so spät, dass es nicht mehr lohnte, was ist bloß los mit den Menschen?

Gestern dann lecker Essen und Trinken.

„Hey, schön dass ihr mal wieder reinschaut“, Cedric in bester Stimmung, ich ahnte Schlimmes. „Ach die Turteltauben schauen mal wieder vorbei“, dröhnte Eric aus der Küche, drückt uns innig, greift hinter’n Tresen und schenkt sich ein Blondes ein.

19:30

Durstig wie wir sind, bestellen wir Martini on the Rocks für Choupinette und ein Blondes für mich, bin durstig wie ein Maurer aus Bautzen. Wir gehen raus auf die Terrasse, schauen Toulouse gemeinsam auf’s Schambein, herrlich.

19:50

Wir bestellen Nachschub, sie’n zweiten Martini, ich ‘nen Campari-Spritz, lecker. Wir gehen rein, uns wird kalt, hin und wieder hängen meine Gedanken der beschissenen Woche nach. Zwei Kollegen haben mich wütend gemacht. Egoisten gehen mir auf den Wecker, klar, ‘ne gesunde Form ist lebenserhaltend, aber alles hat Grenzen.

20:10

Heute haben sie wenig Kundschaft, dafür Zeit für uns. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie Cedric sich ein Pils hinterm Tresen einschenkt und in einem Zug runterspült. Wir fangen mit Sardinen-Crème und Röstbrot als Vorspeise an, zum Hauptgang Andouliette, Cedric schlägt ’nen leckeren Roten vor, schenkt sich selbst ein, nickt anerkennend.

20:30

Wir haben Betriebstemperatur, meine Gedanken über die verfickte Dreckswoche sind verstummt. Gerade will ich nach dem Koch fragen, der sonst in der Küche tobt, da hält Cedric vorm Tisch, „unsern Koch ham‘ wa gefeuert“, wir sind überrascht, aber diskret und fragen nicht nach dem Grund.

20:50

„Bedeutet dann doch aber eine Menge Mehrarbeit, oder nicht“, will ich wissen, leere meinen Campari, gurgle mit Wasser und gehe nahtlos zum Rotwein über, ist wirklich lecker, „doch natürlich“, lacht mich Cedric an, „aber weil ich kein Hobby hab‘, dachte ich…“, flunkert und zwinkert er uns zu; ich runzle die Stirn, blicke Eric fragend an,

„bin lieber hier, als bei Frau und Kindern“,

haut er wie aus der Pistole geschossen raus. Ich suche ein verstecktes Lachen in seinem Bart und finde nur sein tiefernstes Gesicht. „Wow“, denke ich mir und nehm‘ einen kräftigen Schluck vom Roten. Beide wirbeln wieder los, Eric in die Küche, Cedric, um Kunden zu bedienen.

21:15

Unser Futter kommt, „herrlich wie das duftet, nicht wahr Schatz?“, zufrieden nickt sie und lächelt mir zu, wer weiß woran sie gerade denkt; schenke uns Wein nach, selig kauen wir uns in eine Trance, „alles Recht bei euch?“, will Cedric wissen und strahlen ihn glücklich an.

21:35

Erste Gäste sind gegangen, Cedric setzt sich zu uns an den Tisch, holt eine andere Flasche Rotwein und Cognac-Schwenker, „die gehen auf mich“, ich ahnte es. „Ist das Rum?“, will ich wissen und ernte verständnisvolles Lächeln, man ist das lecker; meine Süße schüttelt den Kopf, gießt mir ihre Ladung in den Schwenker.

22:15

Eric setzt sich dazu, schlürft ein weiteres Glas Weißen. „Euer Kartoffelpüree ist der Wahnsinn“, lobe ich, mein’s ernst, kochen wirklich fabelhaft. Meine Arbeitswoche ist längst über alle Berge, Baal sei Dank!

22:35

„Probiert den mal, richtig knackig“, längst stehen neue Gläser auf dem Tisch, der Wein ist schwarz wie die Nacht, meine Freundin runzelt betreten die Stirn, „bin etwas betrunken“, vergnügtes Lachen von allen. „Weinselischkeit iss fass-so’n schönes Word wie Müsischgangh“, schwadroniere ich.      

22:47

Meine Freundin fängt an zu gähnen, der Neue ist ihr zu stark, wieder landet ne Ladung bei mir. Ist leider lecker. „Was macht ihr am 27.Mai?“, will ich wissen, „Arbeiten!“, schreien sie im Chor, „dann macht euch auf was gefasst!“, drohe ich, Cedric hat Sonntag den 28. Geburtstag.

23:10

Wir zahlen, „Mensch, war wieder klasse“, geb‘ ich zum Besten, bin gut angeschlagen, wie ich merk‘, „tschüß, machts gut, bis in zwei Wochen“, Küsschen links, rechts, schon sind wir auf der Straße. 30min Fußweg. „Hab zuviel gefressen“, hab Schnappatmung.

23:50

Heil zuhause angekommen fällt uns nichts Besseres ein, als uns über den Design-Vorschlag der neuen Homepage zu unterhalten. Wie so oft, wenn’s um Farben und Formen geht, sind wir unterschiedlicher Meinung. Ich rede von Schriftformen und Größenverhältnissen, sie von Überschriften und Inhalten.

00:10

Wir wechseln auf Englisch, merken beide, dass wir zu Bett gehen sollten, machen’s aber nicht. Wir reden lauter, versuchen einander zu überzeugen. Bald halten wir uns gegenseitig vor, dass wir einander nicht ausreden, nicht zuhören, was beides – stimmt.

00:25

Wir streiten. Jeder hat Recht und Unrecht. Leider kriegen wir die Kurve nicht. Wir kramen in der gemeinsamen Vergangenheit, verzweifelte Versuche, um die Thesen des anderen zu widerlegen, die eigenen zu bekräftigen. Wir sind erbärmlich, wie alle Menschen. Geradezu menschlich.

00:50

Trinken Wasser. Langsam kommen wir runter, „mein lieber Herr Gesangsverein“, denke ich, „sie kann wirklich energisch sein“, staune ich, ein echtes Cowgirl. „Wir sollten keine ernsten Themen besprechen, wenn wir besoffen sind“, schlage ich vor.

Zwei Holzköpfe nicken.

Sind wieder im Harmonieland. „Merkwürdig“, grüble ich, während Choupinette sich im Bad fertig macht, „bin wohl friedlicher geworden, aber unverändert angriffslustig“, murmle ich nachdenklich, nippe am Wasser und denke an mein neues Buch von Céline, „Tod auf Raten“

und muss laut lachen…

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