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Dorf am Meer – Odyssee 2024

„Cabin Crew, 10 minutes to landing!” … dröhnt es aus den Lautsprechern … erschrocken schieß ich hoch … wir schrammen über den Puig Major, drehen ein paar Kurven über der Insel … dann geht der Kapitano auf Landeanflug …

Es schaukelt mächtig …

Scherwinde, glaube ich … es wirde ziemlich still im Flieger … unser Easyjet taumelt wie ein betrunkener Seemann … das Cockpit entscheidet auf Angriff zu gehen, drückt die Nase runter … schon geht’s abwärts, aber nicht zu knapp …

rumpelnd landen wir …

hinten klatschen sie, wie früher … starker Wind lässt uns auch am Boden rumschlingern, wie ein überhitzter Leguan … kaum stehen wir, springen erste Passagiere auf und plündern die Overheadstorages … Tumult bricht aus … Flugbegleiter brüllen Befehle …

Kinder schrein …

Stewardessen rollen mit Augen … kaum ist die Tür freigegeben, stürmen Ungeduldige an mir vorbei … ich falle zurück in meinen Sitz … in welcher Kinderstube man ihnen das wohl so beigebracht hat … werde von der hinausströmenden Menge herumgeschubst …

Wie früher …

Aua! Stoße mir den Kopf, berappele mich … suche schnell das Weite … du meine Güte! Hyänen sind nichts gegen diese wilde Meute … durch den Finger vom gate wanke ich ins Terminal, dort herrscht Karnevalstimmung … bunte Klamotten, Tätowierungen …

Viel rote und braune Haut …

Große, kleine, dicke, dünne Menschen … Briten, Deutsche, Skandinavier, alle betrunken, oder kurz davor … dazwischen ein paar zielstrebig herumstolzierende Spanier und Mallorquiner … Touristen in weiten Trekkinghosen und Kostümen …

Gruppen mit Motto-Dress …

Mache um Alles einen großen Bogen, schlängle mich ungesehen vorbei … im Terminal gibt’s Baustellen, mehrmals leitet man uns um, ratlose Passagiere verstopfen Gänge, habe längst die Orientierung verloren …

Sehe irgendwann Licht …

Da! Schau nur, der Ausgang … ein Wunder, nicht zu fassen … Sonnenlicht, endlich draußen, wie in Trance taumle ich zu den Taxis, Hauptsache weg … ein netter stiller spanischer Achttagebart fängt mich ab, scheint mir meine Verzweiflung anzusehen …

„Hola, que tal …“

Endlich wieder normale Menschen … „alles gut, und bei dir?“ … wir schmalltalkten uns aus dem Flughafengewimmel … nehmen Fahrt auf Richtung Palma … auf der Rocade der übliche Verkehr … „Nein! Besser ist das Geschäft seit Corona nicht, aber“ …

Wir biegen ab Richtung A20 … surfen über den Strom heißblütiger Schwachstrom-Machos, die mal so kurz nebenbei auf der Straße Druck ablassen … wildes Gehupe, aufheulende Motoren, manches ändert sich wohl doch nicht mehr …

Mein Fahrer heißt Oktavio …

Schöner Name, finde ich … auch er nimmt Fahrt auf … „Aber was will man machen, ich beklage mich nicht, wir sind bei vielleicht 70 bis 80% vom Umsatz 2019, ist nicht berauschend, aber genug zum Leben, zurück nach Barcelona gehe ich auf keinen Fall!“

Kann ihn verstehen …

Wer sich einmal umtopft, kehrt nicht zurück in alte Gärten … „Und du? Arbeitest du hier, oder bist auf Urlaub?“ … wir schunkeln durch Esporles, schrauben uns die Sierra-Tramuntana hoch, vorbei an Port des Canonge und Son Buñola …

„Ein wenig von Beidem“ …

gebe ich zum Besten … dann geht es wieder hinab Richtung Banyalbufar … wir sind beide der Meinung, dass zu viel Tourismus schlecht ist, dass die neu ausgegebenen Beherbergungs-Lizenzen der Insel gut tun usw. … wie überhaupt grundsätzlich jedes „zu viel“ …

schlichtweg zu viel ist …

unsere vermeintliche Weisheit lässt uns lachen … könnten jetzt ein Bier zusammen trinken … wie ein Leuchtturm schleicht das Orstschild Banyalbufar an uns vorbei … in langsamer Tauchfahrt waten wir durch den Ort …

Weiter geht’s Richtung Estellencs …

selbst nach dem 1000sten Mal ist die MA-10 herrlich … sie hat nichts von ihrer Magie verloren … nach dutzenden Kurven öffnet sich die Insel, da liegt das kleine Dorf am Meer … meine Perle, fehlen nur blaue Fenster und geweißte Mauern …

Mittelmeer …

ich zahle Octavio ein Direktorentrinkgeld … steige aus und klopfe mir Arme & Beine aus, orientiere mich … pünktlich auf die Minute bimmelt die Kirchenglocke … ich sehe ein paar Freunde in Entfernung spazieren gehen … rufe ihnen hinterher …

Keine Reaktion …

Merkwürdig! Ich pilgere die kleinen Gassen vom Dorfkern entlang, keine Menschenseele, alle Türen, oder Fensterläden sind verschlossen … vermutlich Zufall … im Sa Tanca ist es brechend voll, auf Katzenpfoten schwebe ich geräuschlos vorbei …

Niemand sieht, oder erkennt mich …

Fange an mich aussätzig zu fühlen, gehe zum Haus meiner Freunde … auch dort sind alle Türen verschlossen … komisch, sie erwarten mich doch wohl hoffentlich, oder etwa nicht … ich zücke meinen Schlüssel, fingere ihn unsicher ins Schloss …

er passt nicht …

Ratlos gehe ich zurück in den Ort, setze mich auf eine Bank, blicke zum Mittelmeer, stelle mir hunderte Fragen, bekomme keine Antworten, so wie früher … Autos fahren vorbei, alle ohne Kennzeichen … Insassen samt Fahrer mit ausdruckslosen Gesichtern …

Gähnende Leere, überall …

Unruhig zücke ich mein Smartphone … wähle ein paar Nummern „Kein Anschluss unter dieser Nummer“ … was ist hier los … „Versuchen sie es später noch einmal. Auf Wiederhören“ … ich hinterlasse ein paar Sprachnachrichten, schreibe ein paar Whattsapp-Texte …

Doch nichts …

Abenddämmerung zieht herauf, Wind frischt auf … es wird kühl, niedergeschlagen mache ich es mir auf einer Bank vor der Kirche bequem, rolle mich gegen die Kälte ein … trinke zwei kleine Bier, werde müde, schlafe ein …

Und falle in einen traumlosen Schlaf …

Auf eine Flasche mit – Odyssee 2020 CW35

30.August – wie jeden Tag saß D zwischen den Stühlen. Einmal war da die große Demonstration in Berlin und dann der Sturm, der über seine Heimat hinwegfegte und der nicht nur gewaltige Schäden anrichtete, sondern auch mit einer solchen Härte die Bäume zwischen Banyalbufar und Esporles zerstört hatte, dass D sprachlos über die verwüstete Küstenstraße MA-10 kroch, dass er sogar vergaß Fotos zu machen!

Immer dann, wenn sich die Menge der einprasselnden Informationen und Reize vergrößerte, hatte D die Angewohnheit sich zurückzuziehen, zu zentrieren und seine Lebensprioritäten neu zu setzen. Nicht selten kamen die Gleichen heraus. In diesem besonderen Fall jedoch wollte er mit seinem Freund Perikles telefonieren, um seine gewaltige Lebenserfahrung mit hinzuzuziehen. Und so kam es.

In ihrer zweiten Videokonferenz ging es wieder um die großen Fragen des Lebens und darum, wie man sich in turbulenten Zeiten vor Hysterie, Ängsten und unangenehmen Befürchtungen und Ahnungen schützen kann. D saß mit einem Glas Wein, sowie seinem Headset vor dem Laptop. Pünktlich um 14:00 wählte sich der Torwächter aus dem antiken Korinth ein.

PvK: Jasas Don – wie geht es dir?

DT: Jasas Perikles – danke, gut soweit und dir?

PvK: Du scheinst heute sehr ungeduldig zu sein…..

DT: Kann gut sein – zur Zeit ist wieder mal etwas zu viel los….

PvK: Findest du? Ich glaube ja, dass immer gleich viel los ist. Lediglich ändert sich ständig alles. Du erinnerst ja noch Heraklits Worte, nehme ich an, oder?

DT: Hm, so gesehen hast du vermutlich Recht. Natürlich kenne ich Heraklits – Alles fließt…..

PvK: Worüber möchtest du mit mir reden?

DT: Darüber, was wichtig im Leben ist

PvK: Vermutlich wird das für uns alle irgendwie ein wenig unterschiedlich sein, meinst du nicht?

DT: Natürlich! – aber wir könnten ja mit mir anfangen, oder?

PvK: Selbstverständlich. Aber denkst du wirklich, dass du mich dafür brauchst?

DT: Sagen wir es mal so: Ich unterhalte mich gerne mit dir darüber, weil du mit deiner Sichtweise die Dinge auf den Punkt bringst, während ich selbst manchmal nur über große Umwege dorthin gelange, weil…..

PvK: Aber gerade die Umwege sind doch das Wertvollste – sie unterscheiden uns von den anderen. Stell dir mal vor, alle Menschen würden direkt von A nach B gehen und niemand hätte Umwege gemacht – die Menschen wären längst ausgestorben!

DT: Okay, aber in meinem Fall……..

PvK: STOP! Nicht nur in deinem, sondern im Fall aller Menschen!

DT: Natürlich, aber es geht mir darum, dass…….

PvK: Na los, erzähl schon: Lass es raus, heute bist du wirklich etwas neben der Spur, wie mir scheint….

DT: Ist das verwunderlich?

PvK: Weiß ich nicht, sag du es mir

DT: Irgendwie stecken wir fest, Perikles…..

PvK: Mach dir nichts draus, das kommt schon mal vor. Wichtig ist nur, dass du weißt, wohin du willst: Norden, Süden, Osten oder Westen. Wenn du mal ein paar Schlenker, oder Umwege, wie du es nennst, einlegst, bereichert es dich nur.

DT: Genau darum geht es ja!

PvK: Worum?

DT: Um die Richtung!

PvK: Und du weißt nicht, wohin du willst?

DT: Schon irgendwie, aber…..

PvK: Aber was…..?

DT: Ich würde dir gerne davon erzählen und deine Meinung hören.

PvK: Wenn dir das hilft, nur zu…..

DT: Hm, irgendwie habe ich mir das anders vorgestellt……

PvK: Wie denn?

DT: Na, ich sag dir, was mir wichtig ist und du sagst etwas dazu….

PvK: Dann mach das doch…..

DT: Ich komme mir jetzt irgendwie blöd vor…..

PvK: Mach es jetzt nicht so kompliziert: Sag mir, was dich im Leben bewegt und was dir wichtig ist!

DT: Okay. Literatur……

PvK: Das war es schon? Gibt es nicht vielleicht ein wenig mehr darüber zu sagen? Redest du vom Schreiben oder Lesen? Oder gar beides?

DT: Mehr das Schreiben……

PvK: Was gefällt dir daran nicht….?

DT: Wie kommst du darauf, dass mir was nicht……?

PvK: Weil du seit Minuten um das Thema herumkreist, ohne es anzugehen…..

DT: Vielleicht ist es die Art, wie wir das Gespräch angefangen haben……

PvK: Du bist heute anstrengend, finde ich……

DT: Tatsächlich?

PvK: Ja. Sag doch einfach frei heraus, was dich beschäftigt….

DT: Du weißt, dass für mich die Poesie das Höchste ist?

PvK: Das weiß ich. Warum ist sie das?

DT: Weil man mit ihr und durch sie Dinge ausdrücken kann, die man niemals sagen und malen könnte. Mit Poesie erlangt der Mensch die größtmögliche Freiheit, weil er sich und seine Gedanken völlig frei entstehen lassen und sie mit Worten malen kann, bis sie so schön sind, dass sie Seele und das ganze Universum zum Leuchten bringen und sich beide berühren.

PvK: Aber das ist doch ganz wundervoll! Warum betrübt es dich dann?

DT: Weil ich zwar den Kopf voll habe, aber die Worte sich einfach nicht heraus-kondensieren lassen wollen. Keine Ahnung warum, aber es ist, als wenn Begriffe und Bilder vor mir flüchten, verstehst du was ich meine?

PvK: Natürlich! Du bist so sehr darauf konzentriert, dass alles zum Stehen gekommen ist. Du hast sozusagen eine Art Schreib-Verstopfung; nicht Blockade, weil du ja sehr produktiv bist, aber offensichtlich liegen manche Feld wie die Poetik brach.

DT: Genau!

PvK: Hab Geduld! Mach „Die Augen des Horus“ fertig und dann hast du auch wieder Raum für Poesie

DT: Es ist, als würde ich verdursten – Horus hat mich ausgetrocknet…….

PvK: Beschwer dich nicht, DU wolltest ihn schreiben……

DT: Ich weiß! Aber das macht es nicht einfacher – es ist die Disziplin, die ich benötige, um ihn zu Ende zu bringen. Er blockiert alles andere, er muss jetzt endlich fertig werden!

PvK: Vielleicht hilft dir etwas Ablenkung und Abwechslung, was meinst du?

DT: An was denkst du?

PvK: Variiere deine Sonntags-Novellen noch mehr – eine Serie, so wie „Auf eine Flasche Wein mit….. “ sollte doch Spaß machen, oder was meinst du?

DT: Gute Idee! Werde ich ausprobieren.

PvK: Hast du sonst noch etwas?

DT: Willst du schon wieder gehen?

PvK: Naja, ich habe den Eindruck, dass wir durch sind.

DT: Hm, wahrscheinlich hast du Recht…..

PvK: Gib dir Zeit, um deine Erlebnisse zu verarbeiten und konzentriere dich auf das Wesentliche. Vielleicht legst du dein Smartphone öfter weg, oder schaltest es öfter aus. Vermutlich tut dir das gut. Poesie braucht Raum, um zu gedeihen und die modernen digitalen Medien unterstützen hier aus meiner Sicht nur bedingt, wenn sie deinen Teller permanent mit Informationen auffüllen. Du bist ja irgendwann auch mal satt, dann musst du mit dem Essen aufhören, verstehst du? Leg es einfach weg, schalte es auf Flugmodus und les ein Buch, versprochen?

DT: Versprochen! Danke.

PvK: Gern geschehen. Wir machen dann Schluss?

DT: Ja. Nur eins noch kurz….

PvK: Ja?

DT: Was fällt dir heute am Meisten heutzutage auf?

PvK: Das man heute so tut, als wenn man Dinge neu erfindet, als hätte es das alles nicht schon vorher gegeben; das finde ich sehr lustig……

DT: Was ist daran lustig?

PvK: Die Tatsache, dass sich alles wiederholt.

DT: Nun, wir Menschen lieben Wiederholungen…..

PvK: Ich weiß……

DT: Was ist so schlecht daran?

PvK: Weil die Menschen nicht merken WAS sich wiederholt….

DT: Warum merken wir das aus deiner Sicht nicht?

PvK: Weil wir Menschen so schlecht sind, vorhandenes Wissen zu bewahren und für Neues gleichzeitig offen zu bleiben, um somit die Wissens-Basis ständig weiterzuentwickeln, frei nach dem Leitspruch von Heraklit – alles fließt! Nichts hat Bestand, Wissen genauso wenig wie dein Körper.

DT: Hast du einen Tipp, wie wir das ändern können?

PvK: So etwas klappt nur durch Bildung, ausreichend Weitergabe von Wissen und Erfahrung und größtmöglicher Wertschätzung und Respekt vor allen alten Menschen, denn sie sind die Wissenden, während die Jungen meist nur mit Arroganz glänzen, weil sie noch jung und schön sind – doch auf was ist man stolz, gar arrogant, wenn man es ohne sein Zutun von Mutter Natur bekommen hat?

DT: Du meinst frei nach dem Motto – heute glänzt die arrogante Schönheit, die morgen schon wieder kalte Asche ist, aus der sie entsteht?

PvK: Genau!

DT: Kannst du einen konkreten Tipp geben, wie wir einen Schritt weiter kommen?

PvK: Reduzier Entertainment aufs Maximum und kümmer dich um das, was wirklich bewegt….

DT: Mehr nicht?

PvK: Für die meisten ist das schon zu viel…….

DT: War schön mit dir zu sprechen – jetzt geht es mir besser. Vielen Dank!

PvK: Dafür nicht. Bedanke dich bei dir selbst.

DT: Ich freue mich auf das nächste Mal.

PvK: Ich auch. Mach es gut. Bis bald.

DT: Danke, du auch.

D schaltet die Videoverbindung aus und macht sich mit leichten Fingern an ein kleines Gedicht, was ihm schon länger im Kopf herumschwirrt.