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Wissen und Wahrnehmung – Odyssee 2021 CW19

16.Mai – Kürzlich gab es einen Eklat. D hatte eine Auseinandersetzung mit seinem engen Freund Perikles. Es ging um Erkenntnis und Wissen. Wie gelangte man an sie, idealerweise an beide? Doch schon dort gingen ihre Meinungen auseinander. Es kam nämlich schon darauf an, in welchem Kontext man Worte benutzte.

Je nach Abhängigkeiten und Inhalte, konnte es schon zu gewaltigem Kuddelmuddel kommen. Und so kam es. Selbst diese zwei recht ausgeglichenen und geduldigen Gesprächsteilnehmer behielten nur mit Mühe die Nerven, gehorchten sie doch letztendlich ihrer Vernunft. D und P saßen bei Wein zusammen, als ihr Freund A hinzustieß.

D: Ich muss dir widersprechen, Perikles; ein Beispiel, schau, wenn ich sage – ich werde statt jünger täglich älter – dann ist diese Aussage nicht nur wahr, sondern richtig. Warum? Weil es fürderhin als bewiesen gilt, dass alle biologischen Organismen altern. Wenn wir also eine Induktion tätigen, also seht euch um, alle Lebewesen in der Natur sind sterblich, dann schließen wir daraus, dass auch aller Menschen Leben endlich ist.

Was jedoch nicht verhindert, dass ich von etwas überzeugt sein kann, etwas also zum Beispiel eine Hainbuche zur Familie der Buchen zähle, die viele unserer Wälder verzieren, was offenkundig falsch ist. Weil ich es aber Teil meiner Überzeugung ist, gelangt diese Aussage automatisch in meine Wirklichkeit, womit ich diese Aussage für wahr halte, wenn ich weiterhin darauf beharre und meinen Irrtum nicht bemerke. Daraus folgt, dass..

P: Warte warte warte, nicht so hastig, werter Recke – du willst mir doch nicht erzählen, dass die Wahrheit nicht per se richtig ist, oder…?

D: Ganz genau! Die Wahrheit ist Ausdruck meiner Wahrnehmung, meines Sinnfeldes sozusagen; ich habe ein Konstrukt in meinem Kopf, das ich für wahr halte, damit ist es nicht automatisch richtig. Denn wenn ich eine Aussage mache, die…

P: Falsch mein Lieber, die Wahrheit ist immer wahr – in deinem Fall ist es eben nicht die Wahrheit, was du da vermutest, sondern schlicht eine falsche Annahme, ganz im Gegensatz zu…

D: Leider ist das nicht korrekt, mein Lieber – wir halten ständig Dinge für wahr, weil wir natürlich gute Gründe dafür haben, wie übrigens in allen Fällen von Irrtümern, was aber eben nicht automatisch bedeutet, dass es richtig sein muss; es ist schlicht unser Sprachgebrauch, der uns auf die falsche Fährte lockt, so wie auch dich, geschätzter Freund. Nehm das Beispiel der Erd- versus Heliuszentrierung…

P: Wenn ich deinen Worten also glauben schenke, müsste daraus automatisch folgen, dass es unendlich viele Wahrheiten gibt, wo sich jeder Betrachter rauspflückt was er will, womit…

D: Natürlich! Was anderes ist doch gar nicht möglich; nehm das Beispiel mit der Erde als Zentrum des Kosmos; Jahrhunderte hat man das nicht nur geglaubt, sondern es war schlicht die Wahrheit gehalten; Aristoteles formulierte es schon…es hat nahezu 1800 Jahre gedauert, bis man bemerkte, dass man falsch lag – wieviel haben Galileo Galilei, Kopernikus und Kepler und Konsorten unter der damaligen Haltungen, besonders der Inquisition gelitten…

P: Unfug, das ist grober Unsinn! Wir wären mit deiner Theorie verloren; man könnte sich ja auf nichts mehr verlassen, geschweige Stabilität suchen, sich an etwas klammern…nein, das lehne ich ab…du nutzt das Wort Wahrheit nicht richtig; natürlich kannst du von etwas überzeugt sein, aber das heißt ja nicht…

D: Siehst du das Glas vor dir…?

P: Was ist damit…?

D: Wie voll ist es…?

P: Fast leer, wieso? Du passt eben nicht auf, gibst nicht mehr gut auf deine Freunde acht, denn sonst würdest du mir das Glas lenkst wieder….

D lächelt, nimmt den Krug Wein und füllt etwas nach; sofort will Perikles protestieren, wird jedoch abgelenkt, weil ihr Freund Alexander ihren lauten Dialog aus der Ferne belauschte, neugierig wurde und sich fix dazusetzte.

A: Na ihr beiden? Um was streitet ihr am Samstag-Nachmittag?

D: Von Streit kann keine Rede sein, sondern eher von angeregter…

P: Also für mich ist es schon einer, weil, schau mal, wenn du die Sprache…

D: Okay, wenn es für dich einer ist, für mich jedoch nicht; jedoch passt es ganz gut zu dem Beispiel mit dem Weinglas…

P: Du meinst mein…

D: Wart doch mal, darauf will ich doch jetzt hinaus; also, wie voll ist es jetzt…?

P: Naja, halbleer, so schlecht, wie du mich schon den ganzen Tag behandelst, ist es ja kein Wunder, dass du mir mein Glas nur…

D: Halbleer? Sehr interessant, ich aber schmettere dir tapfer an den Kopf, dass es halbvoll statt halbleer ist; wer von uns beiden hat nun Recht?

A: Ihr beide!

D: Ganz genau; wir haben zwei Wahrheiten, die in diesem besonderen Fall sogar beide richtig sind, was nicht so oft vorkommt, wenn ihr mir zustimmen wollt….

P: Okay, es ist alles eine Sache der geistigen Betrachtung und Haltung…jedoch ändert es nichts daran, das…

D: Natürlich nicht, das habe ich ja auch nie abgestritten, im Gegenteil! Deswegen ist es ja so wichtig, dass man mit den Worten achtsam umgeht; überleg mal, wie leichtfertig…

A: Nicht nur das; denkt nur mal daran, wie schnell aus unterschiedlichen Betrachtungen Konflikte entstehen, obwohl man vielleicht das Gleiche meint, wie in eurem Fall…

P: Ganz genau! Hier, als Veranschaulichung, mein Beispiel mit dem Messer…

D zückt ein Messer, klappt es auf und hält die Klinge so an seinen kleinen Finger, als würde er sich diesen kleinen Teil yakuza-mäßig abschneiden; erschrocken und etwas beunruhigt schauen ihn die zwei Freunde an.

D: Keine Sorge, ist nur ein prägnantes metaphorisches Gleichnis: Stellt euch vor, ihr wäret an meiner Stelle, warum schneide ich mir die Fingerspitze des kleinen Fingers NICHT ab?

P: Weil du ihn noch brauchst…?

D: Ein möglicher Grund…

A: Und weil es schlicht schmerzhaft ist…

D: Auch eine Möglichkeit…

P: Was willst du uns damit sagen…?

D: Das es hier für mich eindeutig ist, was zu tun ist; alle Wahrnehmungen sind mir offenkundig. Ich verfüge über ausreichend Lebens-Erfahrung, dass es die Wahrheit wäre, wenn ich annehme, dass es sehr schmerzhaft sein dürfte und ich halte es für sinnlos, ihn mir abzutrennen, weil ich  a) mit diesem Teil auf die Welt gekommen bin und b) weil mir ohne ihn deswegen vermutlich manche Handgriffe schwerer fallen sollten, womit die Antwort des Nutzens ebenfalls gegeben ist…nur so offensichtlich es in diesem Fall zugeht, so selten eindeutig ist unser Alltag, noch dazu, wenn wir uns im permanentem Austausch mit anderen befinden…

P: Was ist jetzt mit meinem Glas…?

D: Was meinst du? Grade eben habe ich doch darüber…

P: Willst du das jetzt so lassen, oder schenkst du mir endlich voll…?

Obwohl Perikles Gesicht äußerst ernst dreinblickte, dauerte es nur wenige Sekunden, bis die drei Freunde die Totenstille überwältigten und laut loslachten…

Corona und Verschwörungen – Odyssee 2020 CW22

Pfingst-Sonntag, 14.45 in Saint Germain du Puch – D saß im Garten seines Freundes K und genoss die südfranzösische Sonne. Ein großes Glas Rosé leistete ihm dabei erfrischende Gesellschaft, während D den gestrigen Abend Revue passieren ließ.

Jay-Bee, ein gemeinsamer Freund kam gegen Abend vorbei, was den weiteren Verlauf nicht nur kurzweiliger, sondern auch umso lehrreicher machte. Letzteres, weil Jay-Bee nicht nur ein talentierter und erfahrener Winzer, sondern, weil D ihn immer als sehr belesen und gut informiert erlebte.

Nicht nur die Tatsache, dass Jay-Bee ein konsequenter Umsetzer der biodynamischen Lehre Rudolf Steiners ist, was sich jedes Jahr in leckeren Rotweinen wiederspiegelte, inklusive seiner zufriedenen Anhänger, sondern auch seine Fähigkeit, aus vermeintlich einfachen Gegebenheiten, eine komplexe vierdimensionale Realität zu erschaffen.

Am gestrigen Abend bekam D reichlich neues Wissen eingeschenkt, sowie die beeindruckende Erkenntnis, dass wirklich alles miteinander verbunden ist.

Langsam dämmerte D, dass Corona kein zufällig entstandenes Virus, sondern eine Geheimwaffe ist, die weitsichtige Chinesische Forscher intelligent eingesetzt hatten, um dafür zu sorgen, dass es den reichen europäischen Staaten an den Kragen ging – wie sich immer mehr herausstellte, gleich doppelt und dreifach. D faszinierte Jay-Bee’s Scharfsinn, wie er virtuos komplexe Zusammenhänge erkannte.

Natürlich war absehbar, dass jeder einzelne EU-Staat seine Grenzen eigenmächtig schloss und damit den eigenen Bankrott beschleunigte – schnell wurde ersichtlich, dass dahinter die reichen Eliten steckten, angeführt von Bill Gates und der WHO.

Doch diese Tatsachen verblassten vollständig, nachdem die Gemeinschaft einige Flaschen Wein intus hatte und Jay-Bee mit detaillierten Ausführungen zur Wahrheit über Hitler und den USA begann. Jay-Bee konnte fundiert und eindeutig herleiten, viel beeindruckender, er schien physische Beweise zuhause zu haben, dass in Wahrheit die USA hinter Hitler steckten; man hatte sich die ganze Sache mit Braunau und dem abgelehnten Kunststudium ausgedacht, wie er farbenreich schildert. In Wirklichkeit hatten die Geheimdienste der USA ihn aufgebaut.

D nippte an seinem Rosé und erkannte messerscharf, zwar verspätet verglichen zu Jay-Bee, aber immerhin, dass Adolf H eine Art Geheimdienst-Angestellter gewesen sein musste, vermutlich mit Personal-Nummer und Gehaltszettel. – Wer war dann sein Vorgesetzter? fragte sich D – der amerikanische Präsident Roosevelt, oder einer der Direktoren von NSA, FBI oder CIA? D wusste es nicht – noch nicht!

Doch eins war D klar:

Er würde nicht ruhen, bis er den ganzen Zusammenhang herausfand und verstand, warum auch Stalin, dazugehörte, wie Jay-Bee gegen Mitternacht, bedeutsam zum Ausdruck brachte. Sein immer breiter gewordener Entre-deux-Mer-Slang machte das herausfischen von klarverständlichen Fakten zum wahren Abenteuer, dass D irgendwann nach drinnen ging, um eine Angel zu holen.

Als D dann seine Vermutung mit den zwei vertrauten Freunden teilte, dass Pfingsten, in Wahrheit ein Fest des Teufels sein musste, was D gekonnt damit belegte, weil das Wort Pfingsten aus dem griechischen, nämlich von Pentikosti kommt, woran man sofort Teuflisches erkannte. Penti = Pentagramm = Zeichen des Teufels und dass die ganze christliche Kirche in Wahrheit eine Luziferische ist.

Nachdem die Gemeinschaft sich gegen 01:30 nachts mit Argumenten in den Armen lag, fragte D sich beim Nachschenken, ob Hitler und Stalin Gehaltserhöhungen, so wie ihre Kollegen, bekommen hatten; ob es zu der Zeit Team-Booster gab? D wusste es nicht – nahm sich aber vor, alles herauszufinden.

Nachdem D am Pfingst-Sonntag weiter am dritten Buch arbeitete, fragte er sich – war es wirklich reiner Zufall war, dass sein Rosé alle war? Steckte am Ende viel mehr dahinter? Konnte er sich wirklich sicher sein? D wusste es nicht.

Nach und nach schob er diese Frage in den Hintergrund, weil er sich vielmehr begann damit zu beschäftigen, ob er in zwei Wochen, wie geplant, zur Heimat fliegen konnte, oder ob auch Mallorca von außerirdischen Echsen und deren Superkräften beherrscht war.

Man hörte doch so viel von abgewiesenen Touristen.

Doch wie sollte das gehen? Man landete, stieg aus dem Flugzeug und dann was? Wurde man dann vom spanischen Geheimdienst in Empfang genommen? Kam man in ein Flughafen-Gefängnis, eine Art spanisches Guantanamo-Bay, bis man einen ungewollten und verfrühten Rückflug erstanden hatte?

Befanden sich diese Gefängnisse am Flughafen? Waren es Provisorien, solche Blech-Container? Mussten die im Sommer nicht unmenschlich heiß sein? War das die Bestrafung für verfrühte Eingereiste? D wusste es nicht – noch nicht!

Das einzige, was er wirklich wusste, war, dass er jetzt aufstehen und nachschenken musste – mochten Hitler, Stalin und Bill Gates auch zur gleichen Elite zählen, die die Menschheit versklaven und unters Joch bringen wollte.

D wusste nicht warum sie das wollten – noch nicht – doch er würde alles tun, um es herauszufinden und keine Ruhe geben, bis die ganze Wahrheit ans Licht kam.

Doch unabhängig von all seinen Recherchen, nahm D sich weiterhin vor, das Leben weiterhin zu genießen, mochte die ganze Menschheit irgendwann, in ferner Zeit, zur Hölle fahren.

 

 

Odyssee 2019 – CW42

Herbst in Norddeutschland. Bunte Blätter hängen in Bäumen und Gedanken rum. Frühe Dunkelheit sorgt für ausreichende Melancholie. Rum im Tee für wohligen Müßiggang mit Rauch auf der Zunge. Frühstücken, dann zum Amt; muss meine alte Lady abmelden; 25 Jahre pflichtbewusstes Überleben. Ist nicht jedem gelungen. Zu schnell verheddert man sich und fällt durchs Rost. Ein paar Mahnungen sind mit der Post gekommen; scheint so, als wenn meine Abneigung gegen administrativem Bullshit größer wird. Kann sie physisch spüren. Keine Ahnung warum Menschen so hinter ihr her sind. Nachmittags schreiben, kein Mittagsstündchen. Dann Besuch von Karsten, mit Wein und Chips. Pünktlich ins Bett. Muss weniger saufen.

Dienstag – ich befürchte, ich brauche eine Lesebrille. Mache zwar ständig Übungen, um die Augen nicht durchs stumpfe Geradeaussehen einrosten zu lassen, aber es ist mühselig und ich bin schlecht in Disziplin, was grundsätzlich toll für Müßiggang, aber schlecht für Alltagsabläufe ist. Musste zum Verleger. Hat mir die Hammelbeine langgezogen, warum das dritte buch so lange dauert; richtig sauer war der. Kapiere das nicht; egal was ich mache, Menschen werden schnell stinkig, besonders Frauen. Warum nur? Komisch. Gestern zum Beispiel: Bekomme da wieder eine Hasstirade von Susanna. Wahnsinn. Ist sechs Jahre her; hab da keine Worte mehr. Abends Buch lesen ohne Brille.

Mittwoch – Besuch bei der Lektorin. Sie wollen Hörbücher rausbringen; nichts dagegen. Habe derzeit andere Themen im Kopf. Muss Horus fertig machen, damit ich mich an mein Haupt-Werk setzen kann. Mann und Frau driften immer weiter auseinander, zwei Rollenmodelle die sich auflösen; die alten Griechen haben es vorgemacht; kein Wunder, dass die ständig im Krieg waren. Bin knapp 4 Wochen aus Griechenland weg und muss sagen, dass mir Land und Leute fehlen, später dazu mehr. Nachmittags wieder zurück an den Schreibtisch, spätes Mittagessen, dazu Milch – kein Wein. Abends dann Doku im Internet; habe keine Aquarium oder Fernsehen um’s Licht auszumachen. Eine späte Zigarette, dann ins Bett.

Donnerstag – draußen regnet‘s. Heute bleibe ich im Bett liegen. Habe Bock auf nichts. Lesen, dösen, Decke anstarren. Späten Vormittag dann die Überwindung. Aufstehen und ab zum Broterwerb; Mittag mit zwei Surf-Kumpels. Mag deren Frohsinn und Aktivität. Immer ist bei denen was los. Spaziergang an der Elbe nach dem Essen. Locker quatschen und Blankenese aufs Schambein starren. Danach wieder arbeiten. Mache heute zeitig Schluss. Abendbrot bei Doku. Danach Lesen – immer noch ohne Brille.

Freitag – spätes aufstehen, gegen Elch in der Stadt. Verlag und Lektorin wollen das Manuskript vom Horus, nur um es schon mal vorab durchzuarbeiten; bin dagegen; ich will keine Kommentare, bevor es nicht fertig ist; das ist so ähnlich, wie wenn du Migräne-Tabletten für deine zukünftige Frau kaufst, die du noch nicht kennengelernt hast. Abends Dinner mit meinem Freund und Steuerberater – im Ono. Teurer Laden, mit vielen schicken Slim-Fit Hamburgern. Kohle-Futter-Balance ist noch okay. Wir haben reichlich Spaß, quatschen von früher, heute und auch morgen. Ein schöner Abend, bis die Bedienung uns um kurz nach elf vor die Tür setzen will. Denke ich höre nicht richtig. Gebe der Lady ein strammes Feedback.

„Darf ich sie duzen oder lieber…?“

„Nein,nein dozen gerne…!“, ihre Augen werden größer, sie geht einen Schritt zurück. Ich muss eine entschlossene Austrahlung haben.

„Schmeißen Sie uns jetzt etwa raus?“

„Sie sind die letzten Gäste; wir würden gerne….“

„Darf ich das als JA, deuten? Ich will Ihnen dann mal eine Kundenrückmeldung geben: Das geht überhaupt nicht, was ihr hier gerade macht; ihr wollt hohen Anspruch haben, Qualität in Luxus-Porno-Qualität, alles edel und geil und dann, weil wir die Letzten sind, uns vor die Tür setzen, im Ernst? Um 23 Uhr auf einem Freitag? Ist klar, dass wir nie wieder kommen, oder? Als Gast nimmt man die niedrige Qualität im Essen hin, wenn der Service super ist; umgekehrt nie, kapiert?“ Bin wirklich sauer, über diese Popper-Läden, die meinen mit geiler Location, cooler Deko und tätowierten Bedienungen den Laden zu Rocken – das langt nicht, Leute! Ihr könnt mit gutem Service Werbung machen, vor Allem aber müsst ihr den vorleben; habe so etwas in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt, grolle ich noch vor mich hin und fahre heim. Zuhause beende ich mein Dinner mit einem Glas Wein und einer Zigarette – Fuck-Off. Gute Nacht!

Samstag – Frühstücken, Buchpaket an meine Freunde von der Zeit schicken, damit sie bei all der Haute-Cuisine, die in ihrem Feuilleton verstoffwechseln zwischendurch auch mal einen herb-gewürzten Eintopf bekommen. Dann Deal mit kleinem Laden für meine Ware gemacht. Bücher müssen gelesen werden, oder? Abends Dinner mit Freundin in Ottensen; Restaurant in meiner alten Straße, Nernstweg.

Komme früher an und wandle durch die Gassen; viel hat sich verändert; zuviel Hochglanz, zu viel Neues und Buntes für meinen Geschmack; das ganze Viertel ist ein Freeshop geworden; Hippster-Bärte und Tätowierungen, wohin ich auch sehe; Erinnerungen kommen hoch; platte Reifen, Geschreie, Flaschen die an der Wand zerschellen; mochte gerne hier leben; irgendwann sah für mich alles gleich aus; musste dann weg; war vielleicht falsch, den Typen das Feld zu überlassen.

Mein alter Kämpfer Ede lebt noch mit Familie dort; unnachgiebig halt er die Fahne hoch; ich bewundere ihn dafür; oft wünschte ich mir, noch dort zu sein; heute nun, wegen einer Freundin – habe sie lange nicht mehr gesehen; hängt ziemlich durch die Gute; Arbeit, Leben, Liebe, der pure Stress; will ihr Leben ändern, kürzer treten, ein wenig auschecken und dann weitersehen.

Ist ne komische Welt da draußen: Diejenigen, die sich um sie kümmern, werden vergrault. Merkwürdig. Hab noch nicht kapiert warum. Kommt vielleicht noch. Gegen Mitternacht gehen wir in eine Bar, nehmen ein letztes Glas Wein mit Zigaretten – beim Zahlen kommt ein junger kerl, der die Rechnung zählt: „Tessera, pente….“, freue mich und frage ihn auf griechisch, ob er Hellene ist; er freut sich dass ich seine Sprache lerne; wir plaudern ein wenig, mitten in Hamburg; ich bekomme Heimweh, obwohl es erst vier Wochen her ist – gehe mit Kloß im Hals zum Auto und fahre Heim.

Sonntag – Kaffee, frühstück, Musik, schreiben, schreiben, schreiben – gegen Abend Kumpel-Besuch mit schnacken, lachen und vermutlich….na wollen mal sehen.

 

Der Sünder

Ich bin es. Ich muss es einsehen. Immer wenn ich denke ich bin es nicht, merke ich, ich bin es. Was soll ich machen? Ich bin doch ich. Wie soll ich etwas ändern? Es ist zum Verzweifeln. Immer wenn ich mich bemühe moralisch und gut zu sein, merke ich, wie ich mich von mir selber entferne. Es ist ein Dilemma. Es schafft mich. Ich komme da einfach nicht raus. Es ist wie Treibsand. Je mehr ich mich bewege, desto schlimmer wird es. Ich habe alles versucht. Wirklich. Aber ich muss erkennen, dass es hoffnungslos ist. Es hat keinen Zweck. Ich muss mich akzeptieren wie ich bin.

Ich bin ein Sünder. Noch dazu einer, der nichts bereut. Das soll nicht heißen, dass ich grundsätzlich noch nichts bereut habe. Das stimmt auch nicht. Ich habe schon bereut. Aber selten. Und zurückblickend zählt es sowieso nicht. Etwas hinterher mit einer neuen Erkenntnis zu bereuen, ist eine Selbst-Täuschung. Das ist eine Lebenslüge. Richtig bereuen kann man nur in dem Moment selbst. Sonst zählt es nicht. Ich kann ja nicht die Frau mei-nes Nächsten begehren, mit ihr in die Kiste gehen und hinterher sagen, ich bereue es. Totaler Bullshit. Bereuen ist unreif. Noch dazu total unsexy. Es bedeutet die Rechnung nicht zahlen zu wollen. Bereuen ist, wie wenn ich in ein fantastisches Restaurant gehe, dort umwerfend gut esse und danach die Rechnung ablehne. Wer bereut, ist ein Zechpreller. Du willst die Frau deines Nächsten haben? Nehm sie dir. Aber sei bereit den Preis zu zahlen und beschwer dich nicht. Hörst du? Nicht beschweren. Einfach Rechnung zahlen und freundlich sein.

Für die Kirche gehört Sünde und Reue zusammen. Wer sündigt, sollte Reue empfinden. Ich sehe das anders. Für mich gilt das alles nicht. Die Kirche selber erschafft Gut und Böse und erzeugt somit erst den Konflikt, den es vorher nicht gab. Ich habe diesen Konflikt nicht. Ich bin einfach ich. Danach bin ich zwar ein Sünder, aber ein Freundlicher. Sünde ist ein gewaltiges Wort. Was ist Sünde? Ich sündige ständig, den ganzen Tag. Immerzu. Ich gehe bei Rot über die Ampel. Und während ich das mache, fühle ich mich gut. Danach auch. Susanna hat mich dafür immer gehasst. Ihre katholische Prägung sah vor, Gutes zu tun. Ob das immer gut war, wage ich zu bezweifeln. Aber Menschen zu treffen, die Böses tun und sich noch gut dabei fühlen, stellten ihren Planeten auf den Kopf. Besonders stark, weil es der eigene Freund war.

Wenn ich töte, sündige ich. Ich habe schon tausende Ameisen in Estellencs getötet. Wirklich. Aber-Tausende. Fliegen und Mücken auch. Seit kurzem fahnden sie nach mir. Herzloser Insektenmörder gesucht. Lebendig oder tot. Die fliegenden Opfer habe ich allerdings nur in Hamburg getötet. Ich bin sozusagen ein rassistischer Killer. Mich selber hat man auch schon öfters mal versucht platt zu machen. Aber irgendwie waren die Versuche erfolglos. Viele sagen mir, ach Ameisen und Fliegen: Komm schon, übertreib nicht Don. Ich denke mir dann immer, wer sie denn sind, dass sie mir das sagen können? Die sind doch nicht die Schöpfung. Wenn ich ein Lebewesen töte, dann töte ich es. Ist ein Kaninchen mehr wert als eine Ameise? Wer bewertet das? Wer darf das?

Ich habe mal 2 Kaninchen überfahren. Ich kam gerade um eine Kurve. Ich glaube es war zwischen Andratx und Estellencs. Gegen Mitternacht. Wir hatten Vollmond. Im Scheinwerferlicht sehe ich dieses Kaninchenpaar. Mitten auf der Straße. Der Rammler hatte seine Vorderläufe schon ziemlich verkrampft um ihre Hinterläufe gekrallt. Ich glaube er war fast fertig. Ich sehe noch, wie sie gleichzeitig in die Scheinwerfer starren. Sie hatte diesen Entsetzten, dann den traurigen Blick. Sie wusste, er würde sie nicht weglassen. So nahm sie das Ende an. Immerhin war sie nicht alleine. Nicht nur das, ihr Hase war ja ganz nah. Sozusagen tief drin. Im Grunde waren sie in dem Moment eins. Ein Kaninchen, statt zwei. Er hingegen, hatte diesen Killerblick drauf. Wahrscheinlich den Gleichen wie ich. Nur saß ich am Steuer und er hockte bei ihr drauf. Er wollte nochmal alles geben bevor der Vorhang fiel und gab richtig Gas. Wie eine Nähmaschine ratterte er sie durch. Stopfen ohne Garn.

Ich war hin und hergerissen. Wenn ich bremsen würde, war es nicht sicher, ob es reichen würde. Mit 70 Stundenkilometern braucht man schon ein paar Meter bevor man steht. Das Quietschen der Reifen würde sie vielleicht erschrecken. Sie könnten genau vor meine Reifen laufen. Und dann würde ich sie beide vielleicht unglücklich anfahren.

Vielleicht nur ihn. Oder nur sie. Und dann? Dann wäre einer von beiden sein Leben lang unglücklich.

(Okay wahrscheinlich nicht. Irgendein anderer Hase, oder eine andere Häsin würde sich schon um den Hinterbliebenen kümmern. Die Natur ist gnädiger als wir Menschen.)

Ich entschloss mich nicht zu bremsen. Sollte er es schaffen sie festzuhalten, könnte es sein, dass ihnen nichts passiert. Vielleicht blieben sie unbeschadet wenn ich über sie drüber hinwegfahre. Wenn nicht, würden sie den sicheren Tod finden. Dafür aber im glücklichsten Moment ihres Lebens. Das war doch was.

Wahrscheinlich finden ein paar das ganz fürchterlich, was ich da gemacht hatte. Wahrscheinlich nennen sie es Sünde. Vor Allem, weil es ein bewusster Entschluss war, in Kauf zu nehmen, dass zwei Lebewesen bewusst getötet werden könnten. Somit bin ich ein Mörder. Ich bin also ein Mörder und Sünder. Aber nicht nur das. Als wäre das nicht schon schlimm genug, bin ich auch noch Hedonist. Alles was mir Lust beschert, liebe ich. Lust und Freude im Allgemeinen. Anstelle für einen Marathon zu trainieren, gebe ich mich doch viel lieber den leiblichen Genüssen mit einer schönen Frau hin. Mir kommt das ziemlich natürlich vor, obwohl ich weiß, dass ich mich wahrscheinlich wieder versündige.

Ich finde es viel wichtiger, dass man alles, wirklich möglichst alles, gründlich machen sollte. Man sollte die Dinge mit Liebe und Hingabe tun. Wenn ich ohne Liebe koche, schmeckt man das. Wenn ich mich mit einer Frau unterhalte und von etwas abgelenkt werde, nicht immer ganz bei ihr bin, merkt sie das. Wenn ich mit der U-Bahn fahre und nicht zahle, mache ich das mit Hingabe. Wenn ich schwarzfahre, dann mit Lust und Freude. Wenn man sündigt, sollte man es gründlich machen. Ich würde deswegen immer die Premium-Sünde, der Allerwelt-Sünde vorziehen.

Eine Fliege totzuschlagen, oder die Zeitung meines Nachbarn aus dem Briefkasten zu klauen, sind Alltagssünden. Sogar eher Alltag, als Sünde. Wenn meine Freundin ein guter Mensch ist, sie ihrer besten Freundin helfen möchte, weil die gerade Stress in ihrer Beziehung hat und sie diese für ein paar Wochen zu sich nach Hause holt, wo sie weiß, dass ihre Freundin bezaubernd schön ist, noch dazu sehr sportlich und gierig, dann kann sich meine Freundin als Gutmensch fühlen. Als eine die ihrer besten Freundin Gutes tut. Ob sie sich selber damit Gutes tat, blieb abzuwarten. Heute weiß ich, dass ich damals ein ganz natürlicher Sünder war. Ich habe dafür auch alle Konsequenzen ertragen. Wirklich alle. Aber die anderen nicht. Die machten mich zum Sünder, um weiter munter in ihrer Puppenstube zu leben. Die haben ihre Gelüste, ihr Selbst unterdrückt. Charlotte weniger. Nach ein paar Monaten begrub sie das Kriegsbeil und kam zurück. Sie kannte sich und spürte nur zu gut, was wir für einander waren. Aber Alessandra? Du meine Güte. Die ging zu ihrem Mann zurück und spielte brav ihre Augsburger-Puppenkiste weiter.

Und jetzt, liebe galaktische Lebens-Regie, ein déjà-vu. Wo bleibt es, wo ist es? Da ist es. Na endlich. Giulia. Und natürlich bist du liiert. Und natürlich bist du sogar mehr als das. Natürlich bist du richtig verheiratet. So richtig mit Trauschein, Unterschrift und alles. Mit verheirateten Frauen ist es ein Drama. Immer. Sie fühlen sich sicher und strahlen wunderschön um die Wette.

Und diese eine spielt nun auch noch ein ganz abgefahrenes Spiel. Das Abgefahrenste, was mir je untergekommen ist. Sie spielt eine Rolle, ohne es zu wissen. Mittlerweile ahnt sie es. Und das ist schon eine ganze Menge. Was soll ich sagen: Ich will sie haben. Ganz. Was ich dafür kann? Keine Ahnung. Ich bin nicht schuld. Ich habe sie nicht zu dem gemacht was sie ist. Was soll ich machen? Die Welt ist ungerecht. Sie nimmt keine Rücksicht. Ich habe alles versucht. Warme Umschläge. Meditation, Wein, auch den Entzug von Alldem. Alles. Es ändert nichts. Ich will sie haben. Ja, ich bin ein Sünder und Hedonist. Sie auch, dafür weniger Sünderin. Also bin ich gerade dabei und verstoße nacheinander gegen 2 Tod-Sünden. Erst begehrt man die Frau seines Nächsten und dann raubt man sie. Glatter Diebstahl ist das. Das gelingt natürlich nicht immer. Logisch. Nicht jeder Dieb hat Glück.

Wir wissen beide, was die Stunde geschlagen hat. Es ist wie mit Nitro und Glycerin. Einzeln sind sie unauffällig, völlig harmlos. Zusammen, können sie den ganzen verdammten Planeten hochjagen.

Wir waren essen. Zwei Mal. Es war toll. Jedes Mal. Und es ist schwierig. Wie immer. Wir haben ein paar Themen. Sie hat ihre. Ich habe meine. Sie ist noch in der Verpuppungsphase. Richtig mittendrin. Sie weiß, dass der Prozess unumgänglich, unaufhaltbar ist. Sie weiß es. Davor hat sie Angst. Ich kann sie verstehen.